Deutsche Gesellschaft für Volkstanz e.V.

Die 57. Europeade 2020 in Klaipėda (Litauen) ist aufgrund der weltweiten Corona-Krise abgesagt. Das Europeade-Komitee prüft gemeinsam mit den zukünftigen Europeade-Städten die Verschiebung der Veranstaltung für die folgenden Städte um jeweils ein Jahr.

Mario Hecker, Mitglied im Vorstand des DGV und der LAG Tanz Hessen aus Oberursel hat für die Europeade 2020 in Klaipėda (Litauen) einen Tanz „Europa-Gespann“ geschrieben. Ein Tanz für zwölf Paare, so viele Paare wie Sterne auf der Europafahne. Weitere Besetzungen wurden ergänzt.

Europa Flagge

Als Vorlage diente das „Insterburger Viergespann“, Choreografie und Musik Hermann Huffziger in: Der Tanzkreis. Alte und neue volkstümliche Tänze aus Ostpreußen. 2. Band, 1933. Der ursprüngliche Tanz wurde dem Insterburger Tanzkreis 1932 gewidmet. Es handelt sich beim Insterburger Viergespann nicht um einen der alten ostpreußischen Fischertänzen, sondern um einen neu choreographierten Jugendtanz. Diese Quadrille ist somit in erster Linie kein ostpreußischer Volkstanz, sondern - wir dürfen die Jugendtänze zu den Volkstänzen zählen - ein Volkstanz, der in Ostpreußen entstanden ist.

Wäre Hermann Huffziger damit einverstanden gewesen, wenn sein Tanz bearbeitet würde? Es gibt manche Tanzleiter, denen das schwer fallen würde. Doch Huffziger nehme ich nicht als unfehlbaren Tanzpapst war. Er bot viel Einsatz für seine Jugendlichen, arbeitete im Vorstand des VDT (s.u.) und konnte Volkstanzseminare gemeinsam mit anderen Volkstanzlehrer wie Ludwig Burkhardt leiten. Das ist kein Bild eines einsamen Kämpfers, sondern das eines Gemeinschaftsmenschen und Teamplayers. Er hätte das Europa-Gespann sicherlich mit seinen Jugendlichen aufprobieren wollen.

Hier nun etwas mehr über Hermann Huffziger. Bekannt ist der Gumbinner Bezirksjugendpfleger Huffziger als Autor der Bücher "Der Tanzkreis", 2 Bände; Friedrich Hofmeister Verlag 1930 und 1933. Der Bezirk Gumbinnen (heute Gussew) ist der nordöstliche Teil Ostpreußens.

Hermann Huffziger mit Akkordeon = Ziehharmonika auf einem Hocker sitzend, neben dem Tanzlehrer und Volkstanzforscher Ludwig Burkhardt.
Hermann Huffziger mit Akkordeon = Ziehharmonika auf einem Hocker sitzend, neben dem Tanzlehrer und Volkstanzforscher Ludwig Burkhardt

Im seinem Zeitschriftenartikel "Handharmonika und Volkstanz" verrät Hermann Huffziger einiges über seine Person. Seine Eltern waren Bauern in einem Dorf in der Nähe von Halle an der Saale im südlichen Sachsen-Anhalt. Dort stand er auch in Verbindung mit der Turnerschaft. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts nahmen seine Eltern einen Halbweisen an, der als Heranwachsender das Handharmonikaspiel pflegte. Von ihm hat sich der junge Hermann als Schuljunge das Spiel abgeguckt. Ab 1932 war Huffziger Schriftführer im Vorstand des Verbands deutscher Tanzkreise (VDT), mit überwiegend Befürworter des „neuen deutschen Gemeinschaftstanzes“.

Heiligenbeil (Ostpreußen), Volkstanztreffen, Sommer 1929 mit „Vater“ Hermann Huffziger
Heiligenbeil (Ostpreußen), Volkstanztreffen, Sommer 1929 mit „Vater“ Hermann Huffziger

Er war um die 50 Jahre alt als er zum Bezirksjugendpfleger im Regierungsbezirk Gumbinnen (Ostpreußen) berufen wurde. Bezirksjugendpfleger waren vorher meist Lehrer gewesen und hauptberuflich im Dienst. Scheinbar fand er seine Einstellung noch vor Ende 1929, dem Anfang der Weltwirtschaftskrise. Evtl. war auch die Stelle ein Aufstieg und Grund dafür, dass er nach Ostpreußen wechselte. "Vater" Hermann Huffziger war hier sicherlich ein Anker in dieser schwierigen Zeit für die ihm anvertrauten Jugendlichen. Z.Z. der Weltwirtschaftskriese waren 30% aller im arbeitsfähigen Alter arbeitslos. Als Jugendpfleger kümmerte er sich hauptsächlich um Jugendliche, die fertig mt der Schule waren aber noch keine 25 (damaliges Alter für die Volljährigkeit. Zu dieser Zeit gab es viele Jugendliche. Sicherlich waren von Huffzigers Clientel mehr als die Hälfte ohne Arbeit oder waren durch die Arbeitslosigkeit ihrer Eltern betroffen. Für sie war er eine Vatergestalt, Er gab ihnen Halt, Lebensfreude und Orientierung . Hier mögen die norddeutschen Quadrillen ein gutes Training fürs Leben gewesen sein. Bevor er nach Ostpreußen ging, war er Jugendpfleger im Südharz und im mitteldeutschen Braunkohlegebiet - wohl in der Nähe von Halle oder südlich von Leipzig.

Eine Harmonika „ Hohner Traviata“; jedoch in einer anderen Stimmung als sie Hermann Huffziger besaß
Eine Harmonika „Hohner Traviata“; jedoch in einer anderen Stimmung als sie Hermann Huffziger besaß | Hörprobe

Klaipėda, damals als Memel bekannt, liegt ca. 120 km nördlich von Insterburg, dem heutigen Tschernjachowsk (Kaliningrad, Russland) entfernt. Ebenfalls im Buch "Der Tanzkreis", 2. Band; Friedrich Hofmeister Verlag 1933 zu finden, widmete Hermann Huffziger auch den Memeler Volkstanzkreisen 1930 einen Tanz, das Memeler Viergespann. Anhand der Widmungen seiner Tänze ist zu erkennen, dass Huffziger in Verbindung zu Volkstanzkreisen in ganz Ost- und Westpreußen stand.

Im Geleit zu seinem Tanzbuch schreibt er: „Daß auch in unserer heutigen gesunden deutschen Jugend der urdeutsche Volkskern noch vorhanden und auch noch lebenskräftig ist, habe ich bei meinen bisherigen 210 Volkstanzkursen, mit denen ich weit über 11.000 Burschen und Mädels erfassen konnte, immer wieder erleben dürfen, ganz besonders fühlbar in der Freien Stadt Danzig und im Memelland.“

Das nördliche Ostpreußen zur Zeit Hermann Huffzigers
Das nördliche Ostpreußen zur Zeit Hermann Huffzigers

Das überwiegend deutschsprachige ostpreußische Memelland wurde nach Artikel 99 des Versailler Vertrags von 1919 ohne Volksabstimmung mit Wirkung 10. Januar 1920 an die alliierten Mächte abgetreten. Von Anfang 1920 bis Anfang 1923 wurde es von Frankreich als deren Vertreter verwaltet.

Ab 10. Januar 1923, während der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien, zog sich die französische Besatzungstruppe vor „einheimischen Aufständischen“, die in Wirklichkeit von der litauischen Regierung beauftragt worden und aus Litauen eingesickert waren, zurück. Die anschließende Annexion des Memelgebiets durch Litauen erkannte der Völkerbund am 8. Mai 1924 in der Memelkonvention an. Damit erhielt Litauen einen Ostseezugang durch deutschsprachiges Gebiet.

Am 20. März 1939 (wenige Tage nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei) verlangte der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop im Ultimatum an Litauen die Rückgabe an Deutschland. Litauen tat dies am 22. März 1939. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war Memel eine deutsche Stadt mit einer litauischen Minderheit von 11 % (1931). Die gesamte Bevölkerung des Memellands einschließlich der Stadt Memel ist im Oktober 1944 evakuiert worden. Beim Einmarsch der Roten Armee Ende Januar 1945 befanden sich weniger als 50 Menschen in der Stadt. Bald darauf wurde es der Litauischen SSR, Sowjetunion (UdSSR) angeschlossen.

Beide Namen für die Stadt: Klaipėda sind Memel weder deutschen noch litauischen Ursprungs, sondern Nehrungskurisch der Ostseefischer der Region.

Wir haben zwar in wenigen Fällen Volkstänze, die im Namen den Begriff „Gespann“ haben (z.B Tamseler Dreigespann –ein Jugendtanz von Arthur Nowy und Dolf Giebel 1929) aber Quadrillen mit diesem Namensteil stammen ausschließlich aus der Feder von Hermann Huffziger.

Trakehner Viergespann vor einem Planwagen
Trakehner Viergespann vor einem Planwagen

Nun, Ostpreußen ist ein Land der Pferdezucht. „Der gesamte Pferdebestand Ostpreußens belief – sich auf 600 000 Pferde, von denen im letzten friedensjahr 110 000 Stufen der Zucht dienten, nämlich 70 000 Kaltblutstuten und 40 000 Warmblutstuten. Von den Warmblutstuten waren Wiederum etwa 24 000 im Stutbuch registriert, das damit das umfangreichste Stutbuch Deutschlands gar. Die beiden gleichfalls als ausgesprochene Pferdezuchtgebiete geltenden Länder Schleswig-Holstein und Hannover haben zusammen nur etwa die gleiche Zuchtkapazität wie die Provinz Ostpreußen gehabt.“ (aus: Pferdezucht in Ostpreußen, ZEIT ONLINE - Die Zeit, 10. April 1947). Allein, das ganz im Dienst der Landespferdezucht stehende Gestüt Trakehnen hatte 1200 Pferde im Bestand. Es lag nur 20 km von Gumbinnen entfernt. In Insterburg war ein bedeutender Turnierplatz.

Trakehner Vielseitigkeitsreiten 1936
Trakehner in der Dressur 1936
Trakehner Vielseitigkeitsreiten und in der Dressur 1936

Meinen besonderen Dank gilt Jörg Christoph Pfisterer, DGV-Referent für Tanzgeschichte und -forschung aus Dresden für die Bereitstellung von Informationen über Hermann Huffziger.

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