Beim 15. Deutschen Kinder- und Jugendtrachtentag, der Ende März 2021 ausschließlich online stattfand, gab es eine interessante Diskussionsveranstaltung zum Thema „Strategien der Rechtsextremen im ländlichen Raum“ mit dem profunden Kenner der Szene Andreas Speit. Aus diesem Anlass haben wir den Publizisten und Journalisten interviewt.
Kurzvita
Jahrgang 1966, Publizist und Journalist, Autor der taz Nord-Kolumne „Der Rechte Rand“, regelmäßige Beiträge für die taz, Deutschlandfunk Kultur und WDR; mehrere Auszeichnungen unter anderem durch das „Medium Magazin“ und den Deutschen Journalistenverband; Autor und Herausgeber diverser Bücher zum Thema Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, unter anderem „Völkische Landnahme“ (mit Andrea Röpke, 2019), „Die Entkultivierung des Bürgertums“ (2019), jüngste Veröffentlichung: „Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“ (2021).
Könnten Sie einen kurzen Überblick über die rechtsextreme Szene vor allem im ländlichen Raum geben.
Im ländlichen Raum sind sehr verschiedene Strukturen der Szene aktiv. Mitglieder der NPD siedeln sich gerne mit Mistreiter:innen in einer Region zusammen an, sie drängen dann oft in die Vereine oder Elternvertretungen. Sie können auch aus der Kameradschaftsszene kommen, dem subkulturellen Spektrum, die gerne Brauchtumsfeiern ausrichten. Personengruppen, wie die Neo-Artamanen, möchten zudem völkische Siedlungsbewegungen der 1920er Jahre weiterführen. Rechtsesoterische Bewegungen, die Anastasia-Bewegung, gründen aber auch Familienlandsitze, auf denen sie im Einklang mit der Natur leben wollen. Bemühungen für Siedlungsprojekte kommen des Weiteren aus dem neurechten Spektrum, „Ein Prozent für unser Land“ oder die „Identitäre Bewegung“, suchen Geldgeber:Innen für Projekte.
Warum sind diese Strömungen so gefährlich?
Diese völkischen Siedler:innen möchten zunächst ihre Ideologie in der Familien, auf ihren Hof oder Gelände ausleben und ihre Kinder in ihrem Geiste erziehen. Wenn sie sich aber in der Gemeinde, in der Region, sicher fühlen, drängen sie in das Gemeindeleben, versuchen Akzeptanz für ihre Ideologie zu erlangen, um so auch neue Mitstreiter:innen zu gewinnen.
Welche Strategien und Ziele verfolgen die Rechtsextremen hier?
Diese Szene denkt nicht von Wahl zur Wahl, sie denken viel langfristiger. Im vorpolitischen Raum möchten sie nach und nach die Denk- und Verhaltensmuster in der Mitte der Gesellschaft nach rechts verschieben. Das Sagbare wollen sie ausdehnen, um dann auch das Handel- und Wählbare weiter zu verschieben. Diesen „Kulturkampf“ führt dieses sehr heterogene Spektrum aus der gemeinsamen Sorge heraus den „großen Austausch“ stoppen zu wollen. So unterschiedlich sie sind, sie alle eint die Annahme, dass die Eliten aus Wirtschaft, Politik und Medien die ureigene Bevölkerung gegen eingewanderte Fremde austauschen will.
Warum ist Tracht und Volkstanz so reizvoll für die Rechtsextremen?
In ihrem Verständnis sind Trachten und Volkstanz gelebte nationale Identität, die bewahrt und beschützt werden müsste. Sie sind für sie ein fester Bestandteil der ureigenen Traditionen, die die Menschen in ihrer eigenen Heimat verwurzeln würde.
Wie versuchen die Rechtsextremen sich in diesen Gruppen zu etablieren?
In den Fällen, die uns bekannt sind, haben einzelne Personen versucht in einer Gruppe mitzuwirken. Erst wenn sie den Eindruck hatten, sie könnten über das Tanzen hinaus, weitere Themen in den Gesprächen einbringen, erfolgten eindeutige Aussagen oder Vorschläge. Sie können aber auch nach und nach weitere Mitstreiter:innen mitbringen, um in der Gruppe die Mehrheiten langsam zu verändern. Bei den Recherchen fiel aber mehr auf, dass die Rechten selbst Volkstanzgruppen betreiben und mit diesem Angebot dann Nachbarn oder Interessierte gezielt ansprachen.
Haben Sie eventuell ein oder zwei Beispiele dafür?
Diese Volkstanz-Angebote finden sie in fast allen Bundesländern – in Ost und West. Ich möchte es aber vielleicht an einem positiven Beispiel exemplarisch beschreiben: Im Wendland, das als eher als eine linke Region wahrgenommen wird, sind rechte Familien sehr aktiv. Hier führten völkische Siedler:innen immer wieder Volkstanz-Veranstaltungen durch. Seit in der Region aber ein gesellschaftliches breites Bündnis diese Aktivitäten thematisiert, sind diese vorpolitischen Bemühungen insofern eingedämmt, dass weniger versucht wird, mit dem Angebot neue Mitstreiter:innen zu gewinnen.
Woran kann man als Volkstanz- oder Trachtengruppe bei einem Neubewerber erkennen, „welch Geistes Kind“ er ist?
Die Personen bemühen sich mit ihrer Gesinnung anfänglich nicht aufzufallen. Erst wenn sie den Eindruck haben, sie könnten mit ihrer Einstellung wen erreichen, werden sie deutlicher. Sie können die Personen aber auch – wenn sie selbst nicht aufpasst – an Szenemarken, Symbolen und Codes erkennen. Die politischen Botschaften werden auch gerne als Schmuck oder Tätowierungen getragen. Ein Indiz kann aber auch die Sprache sein. Das Vermeiden von geläufigen Anglizismen – Weltnetz statt Web – sollten zum Nachfragen anregen.
Was kann die Gruppe tun, um sich gegen solche „Vereinnahmung“ zu wehren?
Präventiv wäre eine Möglichkeit sich über die rechte Szene vor Ort zu informieren und auch über aktuelle Szenecodes, Marken und Symbole. Sie können diese Informationen in den Sozialen Medien finden.
Welche Möglichkeiten gibt es noch?
Wenn Vereinssatzungen bestehen, wäre eine Möglichkeit diese Satzung mit klaren inhaltlichen Positionen gegen Rechtsextremismus auszuformulieren. Diese Ergänzung könnte einen Ausschluss formal einfacher machen. Solche Satzungsänderungen sollten aber sehr transparent vorgenommen werden.
In der Diskussions-Veranstaltung, die wir gemeinsam ja ausrichteten, berichtete eine Teilnehmerin, dass sie einen Rechten los wurden, indem sie Volkstänze aus aller Welt tanzten, sich international und weltoffen positionierten. Das war dem Rechten dann doch zu viel. Ich finde, dass dies ein wunderbares Beispiel für eine kreative Abgrenzung ist.
Wo kann man sich Hilfe suchen?
In allen Bundesländern bestehen Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus und für Demokratie, an die sich gewendet werden kann – auch wenn man unsicher ist, ob sich da nun Rechte einbringen wollen. Diese Beratungen sind kostenlos und anonym. In Gesprächen werden zusammen immer ganz individuelle Lösungen je nach der Situation gesucht.