Der Walzer ist der älteste der modernen bürgerlichen Gesellschaftstänze. Der Name wird aus dem Mittelhochdeutschen von der Tanzfigur „walzen“ abgeleitet, was „drehen“ bedeutet. Lesen Sie hier einen geschichtlichen Abriss zum Walzer.
Wir alle kennen diesen Ausspruch, aber hier wollen wir uns nur mit einer kleinen Randfrage beschäftigen: Was wurde denn eigentlich auf dem Wiener Kongresses vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 getanzt? Remi Hess gibt in ihrem Buch „Der Walzer, Geschichte eines Skandals“ die Antwort: Der Kongress verwarf die vorrevolutionären Tänze wie das Menuett und übernimmt den neuen bürgerlichen Tanz, der aus den Protest- und Provokationstänzen des gemeinen Volkes entstanden ist: Den Walzer, den Nationaltanz der Deutschen, den Napoleons Armeen in ganz Europa verbreitet haben.
Neugierig geworden? Einen überaus sachkundigen Blick auf Geschichte, Tanz und Musik hatte der Musikethnologe Curt Sachs (1981 - 1959), ein Jude, der 1933 seine Professur an der Berliner Musikhochschule verlor und nach Amerika ging. Im selben Jahr erschien sein Buch „Eine Weltgeschichte des Tanzes“, ein Standardwerk, das im Verlag Olms Weidmann nach wie vor als Reprint und auch (zumeist deutlich günstiger) antiquarisch erhältlich ist. Sachs führt den Erfolg des Walzers auch auf die gesellschaftlichen Umbrüche zurück:
„Das Zeitalter des Walzers, 1750 - 1900“
Goethe erzählt, von früher Jugend an habe ihm der Vater Tanzunterricht gegeben; er ‚unterwies uns auf das bestimmteste in den Positionen und Schritten, und als er uns weit genug gebracht hatte, um eine Menuet zu tanzen, so blies er auf einer Flûte-douce uns etwas Faßliches im Dreiviertel-Takt vor, und wir bewegten uns danach, so gut wir konnten‘.[1] Mit Lotte schlang er sich ‚in Menuets um einander herum‘, führte sie zum englischen Contre und kam ‚gar ans Walzen‘. Als sie aber ‚wie die Sphären um einander herum rollten, gieng's freilich anfangs, weil's die wenigsten können, ein Bischen bunt durch einander‘.[2] Auch den Töchtern des Straßburger Tanzmeisters, die ‚immer willig waren, nach der kleinen Geige des Vaters eine Menuet zu tanzen‘, ward das Walzen beschwerlich.[3] Draußen dagegen, auf dem Lande, in Sesenheim, waren die ‚Allemanden, das Walzen und Drehen Anfang, Mittel und Ende. Alle waren zu diesem Nationaltanz aufgewachsen‘.[4]
Ein Dutzend Lebensjahre Goethes spiegelt die Schicksale des Tanzes zwischen 1650 und 1800. Positionen, Schritte, Menuett im patrizischen Vaterhaus und beim französischen Tanzmeister zu Straßburg als spätem Vertreter der höfisch-zopfigen Welt des untergehenden Rokokos; in der bürgerlichen Gesellschaft um 1770 dagegen englischer Contre und sogar schon der deutsche Walzer, den man noch nicht allgemein beherrscht, den aber wenigstens die alemannische Bevölkerung des Elsaß meisterhaft tanzt.
Die deutsche Ostgrenze rundet das Bild - aus Prag schreibt Mozart am 15. Januar 1787: ‚... Um sechs Uhr fuhr ich mit dem Grafen Canal auf den sogenannten Breitenfeldischen Ball, wo sich der Kern der Prager Schönheiten zu versammeln pflegt ... Ich sah aber mit ganzem Vergnügen zu, wie all diese Leute auf die Musik meines Figaro, in lauter Contretänze und Teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen ...‘.
Mit dem Schwund jener höfischen Welt, die nach minnesängerlichen Idealen geformt war, mußte auch der bisherige Gesellschaftstanz seinen Kern verlieren und zur hohlen Schale werden. Die neue bürgerliche Gesellschaft borgte die Formen von den höfischen, gewiß, aber doch nur solange, als nicht eigene Inhalte Form angenommen hatten. Der Tanz, den sie brauchte, war nicht Repräsentation und letzte Stilisierung verkünstelten Minnedienstes, sondern Ausdruck und, wenn man will, Auslaß jugendlichen Kraftüberschusses und jugendlichen Geschlechtstriebes im Rahmen gemeinschaftlichen Festvergnügens. Wahrhaftigkeit und Schlichtheit stehen auf der Fahne dieser Generationen. Einfach-natürliche Linie ersetzt den Schwung des Rokokos, die Idylle das tragische Pathos; das Singspiel in der Landessprache löst die höfische Opera seria ab, das Lied im Volkston die italienische Arie. Wieder bricht eine folkloristische Zeit an. Dichter und Musiker sammeln Volkslieder, das Märchen zieht die Blicke auf sich, und das Bürgertum sucht seine Bindungen eher in der ländlichen als in der höfischen Kultur.
Der Contre, der die bürgerliche Epoche einleitet, ist nur eine Zwischenlösung. Er wird um 1800 nicht minder verachtet als hundert Jahre vorher. Die englischen Tänze sind ‚nichts als ein charakterloses Getrippel... die schöne Kunst ist zu einer gemeinen Leibesübung herabgesunken. Man strampelt und springt nach dem Takt, und das heißt man tanzen‘.[5]
„Der wahre Tanz soll Seele haben, Leidenschaft ausdrücken, die Natur kopieren!“
Curt Sachs
Wieder einmal ist die Zeit gekommen, wo mit dem darstellenden Stil von der extraverierten Seite her frisches Blut nottut. ‚Jeder Tanz muß einen Charakter haben!... Unsere Tourentänze ohne Charakter und Ausdruck‘, heißt es, sind ‚das Widernatürlichste lächerlichste Fußspiel ... Die bloße Veränderung der Touren, die Abwechselung dieser toten geometrischen Figuren ist nichts, als das Mechanische derselben‘. Der wahre Tanz soll ‚Seele haben, Leidenschaft ausdrücken, die Natur kopieren!‘ Das ist der Grund, warum die Schriftsteller der Zeit das Lob der Volkstänze singen, die das Liebeswerben der Geschlechter kaum verhüllt in rhythmischen Bewegungen darstellen, Leidenschaft ausdrücken und ein Stück menschlicher Natur nachformen. Das ist der Grund, warum der gleiche Jahrgang des Tanzkalenders, dem diese Worte entnommen sind, einen langen Aufsatz über europäische und außereuropäische Nationaltänze bringt. Es war keine Tagesmode, die der letzten Generation des achtzehnten Jahrhunderts den Volkstanz zugeführt hat, es war der kraftvolle Trieb, in diesem triebhaftesten Teil der geselligen Freuden alle erborgte Pose, alle entseelten Formen abzuschütteln und den neuen bürgerlichen Tanz nach dem Muster derjenigen Tänze zu gestalten, in denen die alten Tanzmächte noch die Herrschaft hatten: nicht eingelernte und abgezirkelte Pas, sondern lustvoll gesteigerte Bewegung, nicht stilisierter Schein, sondern lebendiges Sein, nicht Bewußtheit, sondern ekstatische Entrückung.
Was die Zeit suchte, fand sie in jenen geschlossenen Drehern, Hopsern, Ländlern oder Deutschen, die schon unmeßbar lange in Süddeutschland lebten, bereit, aus Dorf und Bergtal hervorzubrechen, wenn die Stunde käme. Der Walzer, der seitdem mehr als ein Jahrhundert hindurch unumstritten den Ballsaal beherrscht hat, unterscheidet sich kaum von diesem Volkstanz. Er mußte auf glattem Salonboden und ungenagelten Sohlen das langsame Zeitmaß – noch um 1900 betrug es im Ländler 48 pro Takt – und die tours hardis aufgeben; die Tänzer warfen sich nicht mehr von Arm zu Arm, sie verzichteten auf Hupf und Armkreiseln und vergaßen das bezeichnende Hintereinandersetzen der Füße in dritter Position auf die Fünf und Sechs des Taktpaars.[6] Aber im wesentlichen blieb der Walzer, was der Ländler war: ein Dreiviertelrhythmus mit starkbetonter Eins, nach dem sich in je zwei Takten die enggeschlossenen Paare um sich selbst und gleichzeitig auf kreisähnlicher Bahn entlangdrehen, so daß der Tanz dem doppelten Kreislauf der Gestirne ähnelt; der linke Fuß greift aus, der rechte folgt schleifend in einem rückwärts gerichteten Bogen, und der linke vollendet die Halbdrehung; im zweiten Takt spielt sich das gleiche mit Vortritt des rechten Fußes ab.
„Charakter, Ausdruck, Seele, Leidenschaft - alles was die neue Zeit vom Tanze forderte, das gab der Walzer.“
Curt Sachs
Charakter, Ausdruck, Seele, Leidenschaft - alles was die neue Zeit vom Tanze forderte, das gab der Walzer. Er konnte wüst genug sein. Ernst Moritz Arndt erzählt aus kleinbürgerlicher Gesellschaft in einem Dorf bei Erlangen:
‚Die Tänzer faßten das lange Kleid der Tänzerinnen, damit es nicht schleppte und zertreten ward, weit hinauf, klemmten sie in dieser Verhüllung, die beyde Körper unter eine Decke brachte, so dicht als möglich gegen sich, und so ging das Gedrehe in den unanständigsten Stellungen fort; die haltende Hand lag hart auf den Brüsten und machte mit jeder Bewegung kleine lüsterne Eindrücke; die Mädchen waren dabey wie Tolle und Hinsinkende anzusehen. Bey den Umwälzungen auf der abgewandten Lichtseite gab es dabey keckere Eingriffe und Küsse. Ländlich sittlich; so schlimm ist es nicht, wie es aussieht, ruft man: ich aber begreife nun sehr wohl, warum man hie und da im Schwaben- und Schweitzerlande den Walzer verboten hat‘.[7]
Aber so unverblümt ist es nicht immer hergegangen. Höheres hat man mit dem neuen Tanz im Sinn. ‚Ich denke mir zwey entzückte, lichttrunkene Wesen, die im Taumel der Freude dahinschweben‘, so schreibt 1801 ein Ungenannter vom Walzer [8] und ‚nie‘, bekennt Goethe im ‚Werther‘, ‚ist mir's so leicht vom Flecke gegangen. Ich war kein Mensch mehr. Das liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben und mit ihr herum zu fliegen wie Wetter, daß alles rings umher vergieng ...‘. Zum ersten Mal nach langer Zeit ist der Tanz wieder wahrhaft ekstatisch: Taumel, Entmenschung und Verlöschen der Umwelt.
Mit dieser Feststellung ist zugleich das seltsame Schicksal des Walzers begreiflich gemacht: seine herzliche und rasche Aufnahme in den deutschen Bürgerkreisen, das langsame Eindringen in die außerdeutsche Bourgeoisie – England erst 1812! [9] – und die große, zum Teil unerschütterliche Zurückhaltung der Höfe, denen nichts daran lag, gutbehütete Prinzessinnen mit Offizieren ‚liebestrunken im Taumel der Freude dahinschweben‘ zu lassen; der Hofball des deutschen Kaiserhauses hat noch unter Wilhelm II. den Walzer ausgeschlossen.
Aber gerade dies ist das Bezeichnende: zum ersten Mal seit langen Jahrhunderten erobert ein Tanz die Welt ohne Sanktion der bisherigen Mächte, der Höfe, der Tanzlehrer und Frankreichs. Die Ansicht der Meister hat 1767 J. M. de Chavanne in das knappe Verdammungsurteil gefaßt: der Walzer habe point de rapport avec la bonne danse.[10] Aber diesmal waren es eben nicht die Tanzlehrer, die den Weg vorzuzeichnen hatten, und die Enttäuschung über den ‚Niedergang‘ der Kunst spiegelt sich in all ihren Büchern.
Ebenso muß nach vielhundertjähriger Führerrolle Frankreich auf die Hinstellung eines allverbindlichen Musters verzichten. Zu der Quadrille am Kaiserhof, die ein gleichzeitiger Stich des B. Zix [11] so lebendig vorführt, halte man, was Vallentin von Napoleon erzählt: ‚Als er im Jahre 1811 auf einem Feste den Grafen Henckel von Donnersmarck nicht tanzen sieht und auf seine Frage nach dem Grunde die Antwort erhält, er sei an die französischen Tanze nicht gewöhnt, spuckt er, dicht an dem Grafen vorbei, aus‘.[12] Ein Menschenalter früher wäre diese Situation eines Hofmannes nicht möglich gewesen.
Unterdessen hatte der Walzer wie eine Elementarbewegung ganz Deutschland ergriffen. In eben dem Wetzlar, dessen Tanzerfahrungen Goethe im Werther niedergelegt hat, erscheint bereits 1782 das erste Buch über den neuen Tanz: ‚Etwas über das Walzen‘ von C. v. Zangen. Fünfzehn Jahre später ist er der erklärte Lieblingstanz aller Kreise, und es wird schon nötig, vor dem Übermaß zu warnen: eine Schrift Salomo Jakob Wolfs – ‚Erörterung derer wichtigsten Ursachen der Schwäche unserer Generation in Hinsicht auf das Walzen‘ - kommt 1797 zu Halle heraus und ist so schnell vergriffen, daß schon zwei Jahre danach eine neue Auflage gedruckt werden muß. Schärfer heißt sie jetzt: ‚Beweis daß das Walzen eine Hauptquelle der Schwäche des Körpers und des Geistes unserer Generation sey. Deutschlands Söhnen und Töchtern angelegentlichst empfohlen‘.
Die Empfehlung hat nichts genutzt. Weder bei Deutschlands Kindern noch bei denen irgendeiner anderen Nation. In Berlin, schreibt Ende 1791 ein Ungenannter, ‚sind die Walzer, und nichts als Walzer, jetzt so sehr Mode, daß man beym Tanz auf nichts sonst sieht; nur Walzer muß man können, und alles geht gut‘ [13], und sechs Jahre später erzählt ein Berichterstatter, das Drehen sei ‚so allgemein wie eine ansteckende Schnupfeninfluenza‘.[14] Schon gegen 1790 kommt der Walzer aus Straßburg nach Frankreich - nach einem Frankreich, dessen Tanzwut ziffernmäßig durch die Tatsache gekennzeichnet wird, daß im Jahre 1797 allein die Stadt Paris 684 öffentliche Ballsäle gehabt hat.[15] Man schüttelt den Kopf: ‚Je conçois‘, ruft der Schriftsteller L.-J.-B.-E. Vigée aus, ‚que les mères aiment la valse, mais je ne conçois pas qu'elles la permettent à leurs filles‘.[16] Mütter und Töchter bleiben ungerührt, und Ernst Moritz Arndt kann aus Frankreich berichten:
‚Man liebt diese Walzer oder eigentliche Schleifer – denn man schleift meistens sehr leise – leidenschaftlich, und sie wechseln regelmäßig mit den Quadrillen, und noch jetzt können die Augen und Herzen nicht davon satt werden. Une walse! Oh encore une walse! hört man alle Augenblick rufen. Diese Liebe zum Walzer, und die Nationalisierung dieses deutschen Tanzes, ist ganz neu. Erst seit diesem Kriege ist er mit dem Tabakrauchen und anderen gemeinen Moden gewöhnlich geworden‘.[17]
Im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts haben die Franzosen sogar eine eigene Abart, den gehüpften ‚Französischen Walzer‘ geschaffen, ebenso wie die Amerikaner den langsam gleitenden Boston, der 1874 zuerst herüberkam. Die Deutschen selbst ließen verschiedene Ausprägungen zu, den Schottischen und den Zweischrittwalzer. Der Schottische Walzer entstand aus dem Eindringen des walzermäßigen Drehens in die Ecossaise und blieb nach ihrem Verschwinden als Walzer im Zweivierteltakt mit der Schrittordnung dieses Reigens übrig: aus der 4. Position mit dem Linken vorn wurde auf die Eins der Rechte vorgeworfen und gleichzeitig auf dem Linken gehüpft; auf die Zwei kamen beide Füße zusammen herunter - alles auf den Spitzen und mit gestreckten Beinen. Der Zweischrittwalzer oder Balancéwalzer war leicht und schwebend: im Drei- oder Zweivierteltakt flog der eine Fuß vor, während der andre zweimal hüpfte.[18]
Klassische Form wird und bleibt aber der Wiener Walzer, den man an der Donau Langaus nannte, und als dessen Urbild der Walzer in Vinzenz Martins Oper Una cosa rara (Wien 1776) gilt. Nicht ohne Widerspruch nimmt man ihn hin. Im Jahre 1797 schreibt der Breslauer Berichterstatter des tonangebenden Journal des Luxus und der Moden: Des gewöhnlichen Walzers oder Drehers ‚langsam schmelzende Bewegung schließt noch nicht allen Anstand und Grazie aus. Dagegen übertrifft der Wiener Walzer alles an wilder Raschheit; gewöhnlich löst sich der Dreher in denselben auf; seltener tanzt man ihn allein, und nur wenig Frauenzimmer – die von der eisernen Natur – überlassen sich seinen fortreißenden Schwingungen. Die meisten opfern sehr ungern diese Bacchantenlust dem strengen Verbothe der für die Gesundheit bekümmerten Mütter‘.[19]
Dieses Schnellerwerden war nicht die notwendige, wohl aber eine naheliegende Folge der Verpflanzung auf glatten Saalboden und der Anpassung an die ungenagelten Ballschuhe. Seinerseits mußte es ändernd an Melodieform und Rhythmus greifen. Bei etwa zweihundert Vierteln in der Minute konnte das ebenmäßige Gewicht der drei Taktviertel oder die stampfende Betonung des zweiten Viertels, die vielen ‚Ländlern‘ und ‚Deutschen‘ den eigenen Reiz gibt, in der Hetze des Zeitmaßes nicht erhalten bleiben. Der Walzer kam zur Überbetonung der Eins und zur Unterbetonung der Zwei und damit zu jenem aufgelichteten Schwebenden und Gleitenden, das der Leichtigkeit der städtischen Tanzkleidung und der Glätte des Parkettes angemessen ist. Auch in der melodischen Linie macht sich der städtische Einfluß geltend: die harten Sprünge und weiten Spannungen treten mehr und mehr hinter einer weichen Schritthaftigkeit zurück - Tanz und Musik werden engbewegt. Schließlich die Form: bei der gewaltigen Temposteigerung mußte die altgewohnte achttaktige Periode der Ländler und Deutschen allzu kurzatmig wirken und auf sechzehn Takte ausgereckt werden.
Diese Entwicklung kommt keineswegs plötzlich. Noch Josef Lanner nennt anfangs seine Tänze Ländler oder Deutsche; erst seit seinem Opus 7 begegnet uns der Titel ‚Walzer‘, aber durchaus nicht ausschließlich. Im ‚Vermählungswalzer‘ op. 15 (gegen 1825) beginnt bei ihm die Zeit der sechzehntaktigen Perioden, mit denen ihm Webers ‚Aufforderung zum Tanz‘ vorausgegangen war.“
Beflügelte Walzer-Euphorie
Zurück zum Wiener Kongress: Vielleicht weniger wissenschaftlich, dafür aber anschaulicher berichtet Graf de La Garde von einem Abend im Wiener Schloss:
„Nachdem die Majestäten sich zurückgezogen hatten, stimmte das Orchester Walzermelodien an. Sofort scheint diese riesige Versammlung elektrisiert zu sein. Nachdem die ersten Takte erklungen sind, strahlen die Gesichter, die Augen blitzen, alle Anwesenden werden vom Tanzfieber erfasst. Die Tanzenden drehen sich, gleiten aneinander vorbei, während jene Zuschauer, die aufgrund ihres Alters zum Tanzen zu unbeweglich sind, den Takt schlagen und übereinstimmend bedauern, dass ihnen dieses Vergnügen versagt bleibt. Die Frauen wirken entzückend in ihrem blumen- und diamantengeschmückten Putz. Sie lassen sich im Arm ihres Partners davontragen wie glänzende Meteore: Ihre duftigen Tüll- und Seidenkleider passen sich den wogenden Bewegungen an. In ihren Gesichtern steht der Ausdruck völliger Entrückung, als die Erschöpfung sie zwingt, wieder auf den Boden zurückzukehren, um neue Kräfte zu sammeln.“
Dass zu dieser Zeit die genialen Komponisten Lanner und Strauß gerade zur Stelle waren, hat die Walzer-Euphorie vielleicht weiter beflügelt – aber das ist Stoff für einen neuen Artikel!