Deutsche Gesellschaft für Volkstanz e.V.

Eines der ersten Gruppenfotos des Volkstanzkreises Winsen aus dem Jahr 1954.

Der Volkstanzkreis Winsen (Luhe) begeht in diesem Jahr seinen siebzigsten Geburtstag. Richtig gefeiert wird aus bekannten Gründen später. Aber ein Rückblick auf die sieben Jahrzehnte lohnt sich allemal.

16. Juni 1950 – dreißig eifrige Tänzerinnen und Tänzer gründen den Volkstanzkreis Winsen (Luhe). Sie stellen sich die Aufgabe, junge Menschen durch gemeinsames Tanzen in eine Gemeinschaft gegenseitiger Toleranz zusammenzufügen.“

Mit diesem Satz beginnt unsere Vereins­chronik, er ist in den Festschriften der letzten Jubiläen zu finden und auch auf der Website hat er seinen Platz gefunden. Dass es sich hierbei nicht um leere Worte handelt, zeigt ein Blick auf die vergangenen siebzig Jahre.

Wie alles begann und fast wieder endete

Nachdem der junge Verein anfangs bei vielen Veranstaltungen in und um Winsen mitwirkt, droht bereits Ende 1953 das Aus – es gibt keinen Tanzsaal und keine Musik. Nach einem halben Jahr Tanzpause können wir am 1. Mai 1954 aufatmen. Der große Saal im neuen „Haus der Jugend“ in der ehemaligen Eppenschen Villa wird unser zukünftiger Übungsraum.

Warum Volkstanz gelebte Völkerverständigung ist und Freundschaften grenzenlos sind

Auf Initiative des ehemaligen Winseners Kurt Gellert bekommen wir im Juli 1955 zum ersten Mal Besuch aus dem Ausland. Die Gruppe „Nordöstra Skane Folkdanzkrets“ aus Südschweden reist nach Winsen. Es ist der Beginn einer langjährigen Freundschaft mit vielen Besuchen und Gegenbesuchen in Schweden. Dort wird 1961 der Kontakt zu der Gruppe „Föreningen Brage Folkdanslaget“ aus Helsinki geknüpft. Weitere Reisen und Freundschaftspflege stehen auch in den folgenden Jahren auf dem Programm und es werden Bekanntschaften in Österreich, Frankreich und Dänemark gemacht. Der absolute Höhepunkt und unsere bisher ungeschlagen längste Reisestrecke folgt im Oktober 1986. Für uns Tänzerinnen, Tänzer und Musiker geht es in die USA nach New Mexico.

Seit 2002 steht nahezu in jedem Jahr die Europeade, das größte internationale Folklorefestival in Europa, auf dem Programm. Neben Lettland, Litauen und Estland, reisen wir auch nach Finnland, Schweden, Belgien, Frankreich, in die Schweiz und nach Italien. Zweimal treffen wir die rund 5.000 tanzbegeisterten Teilnehmer aus ganz Europa auch in Deutschland. So dürfen wir uns in siebzig Jahren 65 Auslandsfahrten und Gegenbesuche auf die Fahne schreiben.

Volkstanz ist gelebte Völkerverständigung, es wird gemeinsam getanzt und zusammen musiziert, bei den Besuchen der ausländischen Gäste wohnt man in den Familien und lernt so „mehr über die Menschen, als jahrelange Hotelbesuche es bringen würden“ (Anneliese Lübbe zum vierzigsten Jubiläum). So bestehen noch heute Kontakte, sogar familiäre Verbindungen zu den Freunden der ersten Stunden und dort, wo sich die Gruppen altersbedingt aufgelöst haben, werden weiterhin private Kontakte gepflegt.

Wie die Volkstänzer zur Tracht kommen und was sie mit Leidenschaft zu tun hat

Anfangs bestreiten wir die Auftritte noch in privater Kleidung, später, mit einer Spende von 50,- DM finanziert, in einheitlichen Röcken und Blusen. Der erste Besuch in Schweden 1956 lässt in uns den dringenden Wunsch nach einer eigenen Tracht wachsen.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Winsener Elbmarsch aktiv Tracht getragen, verstarb der Träger wurde er allerdings mitsamt den wertvollen Kleidungsstücken beigesetzt. Daher gibt es nur wenig authentische Vorlagen, die neuen Trachten werden anhand von Zeichnungen und mit Hilfe des historischen Museums in Hannover gefertigt. Aus Kostengründen wird auf gängige Materialien zurückgegriffen und auch auf die typische Plattstickerei wird zunächst verzichtet. Einige Vereinfachungen und ein praktikabler Schnitt zeichnen diese ersten Trachten aus. Zum 800. Stadtjubiläum gibt der Volkstanzkreis in den bunten, farbenfrohen Kleidern ein beeindruckendes Bild ab.

Im Juli 1982 wird die Tracht um ein wertvolles Stück ergänzt. In langer und mühevoller Kleinarbeit fertigt Lo Schulze die Brautkrone nach altem Vorbild aus bunten Glasperlen, Gold und Silberfäden sowie bunten Bändern.

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren gibt es neue Erkenntnisse durch Besuche in den Museen in Hannover und Lüneburg, wir dürfen weitere Originalstücke begutachten. Vor allem Jutta Zimmermann, Heike Patzig, Karin Gippner und Birgit von Elling setzen diese neuen Impulse um, eignen sich die Plattstickerei an, erarbeiten ein Schnittmuster für Blusen und Hemden und schneidern erste Trachtenkleider und Westen der Männer in enger Anlehnung an die Originalstücke. Egal ob im In- oder Ausland, wenn wir Volkstänzer in unseren farbenfrohen Trachten unterwegs sind, ziehen wir viele Blicke auf uns. Jedes Stück ist einzigartig, jede Tracht hat eine persönliche Note und könnte eine eigene Geschichte erzählen. Eins haben sie aber alle gemeinsam, die Träger teilen die Leidenschaft für den Volkstanz.

Tanzen macht Spaß – Musik macht es möglich

Die ersten Tanzschritte macht der neugegründete Volkstanzkreis zu Klaviermusik, Akkordeon und manchmal bloß nach dem eigenen Gesang. Je nachdem, was oder wer gerade greifbar ist. Passend zum Neustart 1954 bekommen wir mit Peter Fischer, den Akkordeonspieler, der uns Tänzerinnen und Tänzer über fünf Jahrzehnte lang begleiten wird. Ab 1971 unterstützt ihn Gerd Ehlers auf der Gitarre. Unzählige Übungsstunden, Auftritte und Reisen werden von den beiden begleitet. Immer wieder unterstützen weitere Akkordeon- und Gitarrenspieler das Musikergespann.
Großes Glück haben wir, als Ben Zimmermann als Sechsjähriger entscheidet, dass er nicht dem Beispiel seiner tanzenden Eltern folgen möchte und 1987 ein Akkordeon unter dem Weihnachtsbaum findet. In den folgenden Jahren lernt er von Peter, wie aus Tönen Tanz wird. 2002 übernimmt Ben die musikalische Leitung und wird seit 2007 von seinem Bruder Nik zunächst auf der Flöte, später mit der Geige unterstützt. Die beiden sind nicht nur für den Volkstanzkreis Winsen aktiv, sie spielen auch als Lehrgangsmusikanten in ganz Deutschland. Auf den Musikerlehrgängen des Landes­trachtenverbands Niedersachsen ist Ben für die musikalische Ausbildung zuständig.

2014 erweitert sich die Musikgruppe um eine weitere Geige, ein Akkordeon, Flöte, Querflöte und Klarinette, die Band „FolkWin“ wird gegründet und spielt heute mit zehn Musikern zum Tanz auf. Sie werden für viele Tanzfeste gebucht und haben sich in Niedersachsen einen Namen gemacht. Volkstanz zu Live-Musik ist ein Geschenk und lässt die Füße träumen.

Volkstanz kennt kein Alter – wenn Tradition auf Popmusik trifft

Im September 1971 gründet Anneliese „Muschi“ Lübbe eine Kindergruppe. Es ist die einzige ihrer Art im Landkreis. Bereits im Mai 1972 steht der erste Auftritt an, viele weitere Vorführungen und Ausfahrten zu Tanzfesten werden folgen. Auch die Kinder tanzen anfangs ohne Tracht, bekommen dann im Laufe der ersten Jahre einfache, an die Erwachsenentrachten angelehnte Kleider. Ein Jahr vor ihrem zwanzigjährigen Bestehen muss die Kindergruppe mangels Beteiligung 1990 aufgelöst werden. In der Zeit haben insgesamt 527 Kinder unter der Leitung von Anneliese Lübbe getanzt.

Einen neuen Versuch startet der Volkstanzkreis am 1. Oktober 1995 unter der Leitung von Bettina Lübbe und Heike Patzig. Bis heute ist unsere Kindergruppe in zwei Altersgruppen aktiv, seit fast zwei Jahren sogar mit einer „Eltern-Kind-Tanzgruppe“ ab zwei Jahren unter der Leitung von Emily Röhsler. Auftritte stehen genauso auf dem Programm wie gemeinsame Aktivitäten. Der Neustart bringt auch einen neuen Gedanken ins Spiel. Kinder und Jugendliche haben vielfältige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten. Volkstanz muss sich besonders behaupten, um interessant zu bleiben. So läuft in den Übungsstunden nicht nur Volkstanzmusik aus den Boxen, sondern regelmäßig auch moderne Musik, Tänze sind nicht ausschließlich mit Partner, sondern auch mal allein in Reihen oder Kreisen und nicht jeder Auftritt ist in Tracht, sondern auch in Jeans und Vereinsshirt. Denn besonders bei Kindern und Jugendlichen gilt: Tracht vermittelt gleichermaßen ein Gemeinschaftsgefühl und eine Hemmschwelle.

Volkstanz in Winsen und warum zu Hause schlafen langweilig ist

Auch in Winsen sind wir von Beginn an präsent. Auftritte im Rahmenprogramm von Sportveranstaltungen, Heimatabenden oder den „Winsener Musikwochen“ prägen die ersten Jahre. Bei den Festabenden der Deutsch-Japanischen Gesellschaft und den Schlossberger Treffen sind wir jahrelang fester Bestandteil. Bei Schützenumzügen und auch bei vielen Stadtfesten sind wir vertreten. Als Mitglied des Heimat- und Museumsverein helfen wir seit der ersten Swiensköst 1984 bei der Bewirtung der Gäste.

Immer wieder organisieren wir auch eigene Veranstaltungen in der Stadt Winsen, wie seit 1999 auf Initiative von Otto Popp das Maibaumfest oder Auftritte mit befreundeten Gruppen im Rahmen der Vereinsjubiläen. Ein echtes Heimspiel sind der Tag der Niedersachsen 2008 und das Landestrachtenfest 2011. Diese beiden Feste finden seit 1980 jährlich in wechselnden Städten in Niedersachsen statt. Die Besonderheit: alle Teilnehmer werden zur Übernachtung in Schulen untergebracht. Während tagsüber das Bühnenprogramm bestritten wird, tanzt und musiziert man abends in der Schule gemeinsam bis spät in die Nacht. Da ist klar, dass wir die Luftmatratze im Klassenzimmer dem eigenen Bett vorziehen.

Zuletzt organisiert der Verein einige Veranstaltungen im Rahmen des Kultursommerpreises des Landkreis Harburg. Eine Tanzschlange füllt 2015 die Rat­hausstraße und ein Traumprojekt unseres ersten Vorsitzenden Werner „Teddy“ Lübbe erfüllt sich.

2020 wird der Volkstanzkreis siebzig Jahre alt, geplant war ein großes, internationales Tanzfest und Auftritte auf dem Schlossplatz. Leider macht uns die Coronapandemie einen Strich durch diese Pläne. Die Gastgruppen aus Helsinki, Malmö, Turku, aus dem Raum Stuttgart und Düsseldorf kommen dann im nächsten Jahr zur „70+1 Feier“. Dann heißt es wieder „Winsen tanzt…grenzenlos“.

Volkstanz steht nicht still – vom Lernen und Lehren

Volkstänze sind per Definition „im Volk überlieferte Tänze“. Wenn man also Glück hat, dann gibt es Aufzeichnungen, vielleicht im Museum, vielleicht aus Privatbesitz. Gut leserliche, verständliche Tanzbeschreibungen mit passenden Notenblättern. Klingt eher unwahrscheinlich und das ist es auch. Volkstanz ist vielmehr gelebte Überlieferung. Eine Mischung aus „man kennt es noch – von früher“ und dem Zusammentanzen mit anderen.

Eine Volkstanzgruppe gab es in Winsen schon vor dem 2. Weltkrieg. Um einer Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus vorzubeugen, löste sich diese Gruppe jedoch wieder auf. So können wir bei der Neugründung aber auf Aufzeichnungen und Erzählungen zurückgreifen und ein Repertoire aufbauen. Es werden ausgebildete Volkstanzleiter eingeladen, die in Gruppentanzlehrgängen der ganzen Gruppe die Grundlagen beibringt, in Kleingruppen werden aus den Aufzeichnungen die Tänze erarbeitet. Der erste Besuch eines Volkstanzfestes folgt 1953 in Hamburg. Auf solchen Festen knüpft man nicht nur Freundschaften, es werden auch neue Tänze erlernt und ins eigene Programm aufgenommen. Diese Gelegenheiten nehmen wir im Lauf der siebzigjährigen Vereinsgeschichte häufig wahr. Fahrten zu Tanzfesten in der näheren und weiteren Umgebung, zu den Bundesvolkstanztreffen, später zum Tag der Niedersachsen und den niedersächsischen Landestrachtenfesten sind fest im Jahresplan verankert. Tanzfeste richten wir regelmäßig selbst aus. Bei den runden Jubiläen gehören sie zum festen Programmpunkt zusammen mit Freunden aus der Umgebung und immer auch mit internationaler Beteiligung. Die Winsener Stadthalle kommt da räumlich schon manchmal an ihre Grenzen.

Seit vielen Jahren bieten die unterschiedlichen Landesverbände der Volkstanz- und Trachtengruppen auch Tanzleiterlehrgänge und -ausbildungen an. Vom Tageslehrgang, über Wochenend- bis hin zu ganzwöchigen Veranstaltungen, der Kalender der Tanzleitung ist voll. Ein bisschen Methodik, Tanzgeschichte und viele, viele neue Tänze gepaart mit guten Gesprächen und durchtanzten Nächten. Was gefällt und zu der Gruppe passt, wird mit den Tänzerinnen und Tänzern eingeübt und ins Programm übernommen. Ein Blick in die Statistik zeigt 350 unterschiedliche Tänze, hauptsächlich aus dem nordeuropäischen Raum mit Ausflügen nach Israel und Amerika. Natürlich ist da nicht jeder Tanz sofort abrufbar. Wie gut, dass es sie eben doch gibt, die Aufzeichnungen, Beschreibungen und Notenblätter und die Tanzleiterin Sandra Zimmermann, die auch mal auf „Lego-Figuren“ zurückgreift, um das Tanzgedächtnis anzukurbeln.

Wenn man sich nach einem langen Weg umschaut

Ein Jubiläum ist ein guter Grund Danke zu sagen. Ein ganz besonderes Dankeschön und eine Ehrung, die einen anderen Rahmen mehr als verdient hätte, wird in diesem Jahr Horst Blödorn zu teil. Er ist als Tänzer vom ersten Tag an dabei, jahrelang hat er die Tanzleitung inne und ist Vorsitzender des Vereins. Als einziges, noch lebendes Gründungsmitglied ist er seit 2000 Ehrenmitglied des Volkstanzkreis Winsen. Bis heute hält er uns die Treue und wird damit für siebzigjährige Mitgliedschaft ausgezeichnet. Der Dank gilt auch seiner Frau Gisela, ein wenig kürzer aber immer mit genauso viel Elan dabei.

Ein Jubiläum ist auch ein guter Grund zu gedenken. An die Tänzer der ersten Stunden, Rita und Günter Reimann, an Peter Fischer, über 50 Jahre musikalische Stütze, an die gute Seele des Vereins Anneliese Lübbe, an den Motor des Volkstanzkreises Werner Lübbe, der 34 Jahre lang erster Vorsitzender war und an Jutta Zimmermann, die von Horst die Tanzleitung und von Werner den Vorsitz übernahm.

Und ein Jubiläum darf auch genutzt werden für Lob. Ein Lob an Teddy Lübbe, der seit 1995 im Vorstand tätig ist und den Volkstanzkreis seit 2007 leitet. Der in große Fußstapfen treten musste und den Weg erfolgreich weiter geht, den die Vereinsgründer begonnen haben.

Heute zählt der Volkstanzkreis Winsen 111 Mitglieder zwischen neun Monaten und neunzig Jahren. Genau wie zu Anfang eine Gemeinschaft gegenseitiger Toleranz mit einer gemeinsamen Leidenschaft für Musik und Tanz.

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