Uns erreichte folgender Abschlussbericht zu Helene Eriksens Tanzprojekt „Anar Dana“ 2013/14 in Berlin. Obwohl das Tanzprojekt nicht direkt „unseren Kulturkreis“ betrifft, ist ein Blick über den Tellerrand durchaus lehrreich, spannend und interessant.
Für Helene Eriksens Anar Dana Projekt 2013/14 in Berlin hatte sich eine Gruppe von schließlich acht Frauen zusammengefunden, um mit der weltweit bekannten Tanzethnologin und Choreographin in insgesamt zehn Wochenenden sieben Tänze einzustudieren, die schließlich in einer gemeinsamen Show präsentiert werden sollten. Was sich wie ein ziemlich straffes Unterrichtsprogramm anließ, war jedoch eigentlich viel mehr; gemeinsam begaben wir uns auf eine Reise in den Orient, die zuallererst aber eine Reise zu uns selbst war. Doch das wurde uns erst viel später klar.
Von Sheikhat bis Cocek
Zunächst hatte ein Teil der Gruppe in einem Einführungsworkshop aus einem sehr umfangreichen Angebot die sieben Tänze ausgewählt, die im Ausbildungsprojekt erarbeitet werden sollten. Dies waren, wenn wir die geographische Anordnung der Ursprungsländer beibehalten, wie folgt: Der marokkanische Sheikhat, ein sehr erdiger Tanz für starke Frauen. Die Sheikhat sind professionelle Unterhalterinnen, die zu Hochzeiten oder Beschneidungs- und anderen Feierlichkeiten eingeladen werden. Die Bezeichnung Sheikhat (wörtlich „weise Frauen“) bezieht sich auf ihre besonderen Kenntnisse hinsichtlich dessen, was in der Hochzeitsnacht passiert. Nichts für prüde Gemüter also!
Aus Kairo, Ägypten stammt die heute als klassisch verstandene arabische Musik, zu der Helene eine Choreographie erschaffen hat, die den anspruchsvollen 10/8 Rhythmus der Sama'i-Komposition in einem eleganter Weise interpretiert, ein Eindruck dessen, wie die tänzerische Unterhaltung am Hof der Khediven, der osmanischen Statthalter Ägyptens, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgesehen haben könnte. Von der anderen Seite des Mittelmeeres hatten wir einen makedonischen Roma-Tanz im Programm, den heiteren und lebensfrohen Reihentanz Cocek, sowie aus der Türkei ein Potpourri aus Tänzen, die zur berühmten Hennazeremonie aus Elazıg gehören.
Anar Dana Gemeinschaft
Helene Eriksen veranstaltet Projekte in Deutschland und international. Von den Projekten in den USA gibt es auch mehrere professionell produzierte DVD, die bei Helene erworben werden können.
Vom Schweben bis zum Stampfen
Aus dem nordkaukasischen Daghestan erarbeiteten wir einen besonders romantischen und filigranen Tanz, bei dem mit Fingerhüten auf Untertassen „gespielt“ wird. Wie bei den Tänzen aus den übrigen Regionen des Kaukasus scheinen die Tänzerinnen über das Parkett zu „schweben“, dies, und auch ihre eleganten Handbewegungen, verleihen diesem Tanz einen ätherischen, träumerischen Charakter. Weiter im Osten entlang der Seidenstraße leben die Turkmenen, ein ehemals nomadisches Volk, die berühmt sind für ihre Pferdezucht. Ein wenig von dieser ungebremsten Wildheit spiegelt sich auch in den wirbelnden Drehungen und dem temperamentvollen Stampfen auf die Erde.
Der letzte Tanz des Programms führte uns in ein sehr spärlich besiedeltes Gebiet zwischen Afghanistan, Pakistan und Iran, in die Region der Belutschen, in deren Kreistänzen viel Grazie und eine starke Gruppenharmonie gefragt ist. Ein sehr abwechslungsreiches Programm, in dem jede Teilnehmerin gleich Teile finden konnte, die ihr gut lagen (das war der einfache Teil) – es gab aber ausnahmslos für alle Frauen Elemente, an denen jede für sich bis zum Schluss geknabbert hat. Aber schließlich haben wir es doch geschafft!
Jeder Kern ist völlig anders
Unterschiedlich wie die Tänze waren auch die Frauen, die am Anar Dana Projekt teilgenommen haben, und diese Verschiedenheit ist auch Programm, denn Anar bedeutet in der indo-iranischen Sprachfamilie „Granatapfel“, ein uraltes Symbol in Asien und im Mittelmeerraum für Fruchtbarkeit und weibliche Schönheit. Die unzähligen, von süßem Fruchtfleisch umgebenen Kerne („Dana“) des Granatapfels bilden in ihrer Gesamtheit diese Frucht; bei genauem Hinsehen ist jeder einzelne Kern in seiner blutroten Hülle in sich perfekt, wunderschön und völlig anders als die anderen; dennoch passt er sich nahtlos ein in die Gesamtheit der Frucht. So wuchsen auch wir Projektteilnehmer von einer zunächst völlig heterogenen Ansammlung aus nah und fern (bis aus Warschau, Stockholm und sogar aus Französisch Guayana reisten sie an!) im Laufe der Ausbildung zu einer echten Gruppe zusammen, in der jede geschätzt und gehalten wurde, ein wunderbares Erlebnis weiblicher Gemeinschaft.
Programm wird dichter
Jedes Trainingswochenende beginnt mit intensiven Yoga-Übungen zur Dehnung und Kräftigung des Körpers, die uns aber auch helfen anzukommen und den Alltagsstress hinter uns zu lassen. Zunächst analysiert Helene mit uns die Musikstücke zu den ausgewählten Tänzen, damit uns rhythmische Muster und Melodieverläufe klar sind.
Landeskundliches Material aus Helenes eigener Forschung oder Videomaterial illustrieren insbesondere ein bestimmtes Körper- und Lebensgefühl, das jeden einzelnen Tanz auszeichnet.
Der Umsetzung der Tanztechniken wird viel Zeit eingeräumt.
Neben neuen Schritten und Figuren wird auch der Umgang mit verschiedenen Accessoires erarbeitet, je nach Tanz etwa Untertassen und Fingerhüte, Zimbeln oder çalpare (Klanghölzer für osmanische Tänze).
Von Wochenende zu Wochenende wird das Programm dichter, aber es ist dennoch zu bewältigen, wie sich am Ende herausstellt – auch wenn zwischenzeitlich Selbstzweifel und Frust auftauchen.
Endlich erhalten wir auch unsere Kostüme, die zum Teil noch den individuellen Maßen angepasst werden müssen – und plötzlich sehen unsere Tanzversuche so viel schöner aus! Jedes Kostüm für sich ist nach authentischen Vorlagen sorgfältig nachgearbeitet, und bildet mit dem jeweiligen Tanz eine Einheit.
Wir haben uns verändert
So und dann gelangen wir, schneller als gedacht, ans Ziel unserer Reise, zwei Aufführungen im Neuen Schauspiel Leipzig, organisiert von Katrin – Kassia. Es macht unendlich viel Spaß zu zeigen, woran wir so lange gearbeitet haben, was auch das Publikum sehr zu schätzen weiß.
Und eigentlich ist es jetzt vorbei. Aber eigentlich auch nicht. Denn diese Fortbildung hat uns nicht nur neue Techniken vermittelt, sie hat sich in unsere Körper eingeschrieben, unsere Muskeln und Sehnen verändert und unser Bild von uns selbst. Sie hat auch wunderbare Freundschaften entstehen lassen, die weiter fortbestehen und neue Projekte hervorbringen. Die Samen des Granatapfels wurden ausgesät und wir können jetzt beobachten, wie sie weiter wachsen.