Der Präsident des Deutschen Trachtenverbandes e. V., Knut Kreuch, weiß, wie engagiert die Mitgliedsgruppen in Zeiten der Coronapandemie versuchen, die Gruppen zusammenzuhalten und sich mit der Tracht beschäftigen. Im Interview mit der Redaktion gibt er Auskunft.
Die Corona-Pandemie hat auch die deutsche Trachtenfamilie schwer getroffen. Wie hast du selbst die zurückliegenden Monate erlebt?
Überall in Deutschland ist das kulturelle Leben zum Stillstand gekommen und natürlich fehlt mir der frohe Gesang, fehlen mir die lustigen Volkstänze, es fehlt das gemeinsame Basteln an Instrumenten und das Spiel der Kapellen aber auch der Knätsch in Mundart. Für jeden Verein ist diese Zeit eine ungeahnte Herausforderung, weil man nicht weiß, wer wird nach der schweren Krise noch zur Probe kommen. Besonders in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stellt sich diese Herausforderung, denn Kinder sind so schnell abgelenkt und von einem neuen Thema eingenommen. Mir tun auch die Vereine leid, die große Veranstaltungen vorbereitet oder sich für die Teilnahme an einem Festival gerüstet haben. Es fehlen einfach die Begegnungen, egal auf welchem Parkett, auf dem Tanzboden auf dem Dorfe oder auf der Bühne der Europeade. Ich persönlich habe die Zeit genutzt, um zu forschen, habe wieder an zwei regionalgeschichtlichen Publikationen mitgewirkt und einen Stammbaum zur Landgräfin Elisabeth von Gotha veröffentlicht.
„Sich mit Abstand zu begegnen bedeutet, sich in Anstand gegenüber zu treten, das erwarte ich von mir und jedem Anderen.“
Welche Stimmen und Stimmungen hörst du aus dem Trachtenverband?
Die Mitglieder in den deutschen Trachtenvereinen integrieren sich voll und ganz in die große Bewegung der deutschen Kulturlandschaft. Es gibt dabei viel Verständnis für getroffene Entscheidungen zum Schutz der Bevölkerung, aber auch viele Fragen, die unbeantwortet sind. So zum Beispiel: Warum dürfen Musik- und Tanzschulen öffnen und Volkstanzgruppen nicht tanzen sowie Kapellen nicht proben; warum dürfen sich Gemeinderäte treffen und Vorstandssitzungen sind abzusagen, sind das bessere Entscheider? Warum darf Bayern München Fußball spielen, wenn ein Spieler Corona hat und gleichzeitig wird mein Kindergarten geschlossen, nur weil eine Erzieherin in Verdacht auf Corona steht? Diese Ungerechtigkeiten machen Menschen wütend, treiben sie in die Hände von Fängern, die nichts Gutes erwarten lassen. Sich mit Abstand zu begegnen bedeutet, sich in Anstand gegenüber zu treten, das erwarte ich von mir und jedem Anderen.
Wie schaffen es die Trachtler trotz der schwierigen Situation kreativ und positiv mit der Pandemie umzugehen?
Was glaubt ihr, warum so viele Heimatstuben und Museen zurzeit so gut herausgeputzt sind? Warum es so viele Ideen für Besuche bei Freunden im In- und Ausland gibt? Warum so manche neue Komposition oder so manche neue Mundartgeschichte entstanden ist? Sicher ist das darauf zurück zu führen, weil die Freunde die Zeit genutzt haben, um sie mit nützlichem auszufüllen, wofür bisher keine Zeit war. Auch war es notwendig so manche Tracht zu reparieren, eine Tanzkleidung zu erneuern. Ich hoffe sehr, dass die Mitglieder auch die Zeit nutzten um zu sehen, was eigentlich ein Vorstand leisten muss, denn die Anträge auf Finanzhilfen, die Steuererklärung, der Brief an Mitglieder, das Telefonat mit Behörden, die Kontaktpflege müssen weiterlaufen. Ich glaube nicht, dass die Pandemie zu einem grundsätzlichen Umdenken führen wird, denn der Mensch ist so gepoolt, dass er, wenn etwas erledigt ist, meist wieder in den alten Trott verfällt, auch, wenn er es selbst nicht zugeben will.
Kannst du mir einige Beispiel geben?
Ich will bei einem Beispiel bleiben: Mein Sohn Romeo ist seit zwölf Jahren Leiter einer kleinen Musikgruppe. Die Wechmarer Mühlenpfeiffer wurden 2008 gegründet, um bei den Veit-Bach-Festspielen auftreten zu können. Seither gehören sie zum festen Programm des Thüringer Landestrachtenverbandes. Für diese Gruppe hat Romeo in dieser Zeit, wo sie keine Auftritte machen konnten, neue Noten geschrieben, hat per Skype mit den Mitgliedern geübt, und alle waren froh, dass sie so in Kontakt bleiben konnten. Nun überlegen alle gemeinsam, wie sie es machen können, dass die traditionelle Thüringer Dudelsackweihnacht am 4. Advent nicht ausfallen muss. Eine Herausforderung für die ganze Gruppe.
Warum ist die Pflege der Tracht und des Volkstanzes gerade in diesen Zeiten so besonders wichtig?
„Wenn ich weiß, woher der Wind seine Kraft nimmt, dann kann ich meinen Tanzrock in der Böe des Lebens bewegen“ oder auf gut Deutsch „Wenn ich weiß, woher ich komme, dann weiß ich, wo meine Zukunft liegt“ ganz in diesem Sinne sehe ich unsere Arbeit. Das Wort Tracht kommt von betrachten und dieses Wort gibt mir immer wieder den richtigen Rhythmus fürs Leben, wenn ich objektiv betrachte, dann fälle ich eine richtige Entscheidung; wenn ich ehrlich betrachte, werde ich die beste Lösung erzielen und wenn ich auf Eintracht Wert lege, tue ich nie einem Anderen weh. Wir brauchen kein Kostüm um uns darzustellen, sondern tragen die Tracht als Kleid der Heimat, als Zeichen woher wir kommen als Ausdruck von Lebensfreude und Wertschätzung gegenüber dem Anderen. Volkstanz und Volksmusik gehören zusammen wie Vaterland und Muttersprache. Man darf auch heutzutage stolz sein, wenn man einen Volkstanz erlernt hat und ihn vorführen kann; wir dürfen stolz sein, wenn uns ein schwieriger Volksgesang gelingt und wir mit einem Volkslied mit unseren europäischen Nachbarn mithalten können. Stolz sein auf Vaterland und Muttersprache fordern einen ehrlichen Umgang mit der Geschichte. Da sind wir Deutschen noch weit davon entfernt, wenn ich nach Leipzig blicke und mir die Analysen anschaue, wer hier gegen Recht und Gesetz verstößt.
Volkstanz und Tracht gehören ja sehr eng zusammen. Welche Möglichkeiten siehst du, dass die Verbände DTV und DGV in Zukunft enger zusammenarbeiten?
Der deutsche Trachtenverband e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Volkstanz e. V. haben drei Dinge gemeinsam – es sind große Bundesverbände, sie arbeiten ehrenamtlich und beide finden keine Anerkennung der Bundesrepublik für ihre Arbeit. Mehr als sieben Jahrzehnte nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und dreißig Jahre nach der Deutschen Einheit ist es bisher nicht gelungen eine hauptamtliche Struktur in beiden Bundesverbänden aufzubauen, um das Ehrenamt besser und stärker fördern zu können. Alle Politiker reden sonntags und sonst auch immer von Ehrenamt, doch wenn es um konkrete Hilfen geht, dann sind die Vereine allein gelassen. Landfrauen und Landjugend aber auch der Bund Heimat und Umwelt haben hauptamtliche Strukturen auch die Sänger, die sich 2019 in Gotha zu einem Bundesverband zusammengeschlossen haben, nur die Volkskunst hat keine Lobby. Das tut mir weh, das schmerzt, weil es auch den Gruppen nicht vermittelbar ist. Deshalb ist es wichtig, dass DTV und DGV enger zusammenrücken, um Stärken auszubauen.
Was wünschst du dir für das kommende Jahr 2021?
Ich wünsche mir viele Begegnungen mit Menschen, denn die fehlen mir. Ich wünsche mir Umarmungen, die fehlen mir noch mehr und Gesundheit für alle, die in dieser schweren Zeit Ehrenamt, Beruf, Familie und Corona unter einen Trachtenhut gebracht haben.