Im Artikel „Von Paprika gewürzt“ in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Volkstanz“ 2/19 steht als Text bei einem Foto von Helmut Heil kurz: „Der Tanzgruppenleiter und Autor dieses Beitrags Helmut Heil“. Dieser Text wird den Verdiensten Helmut Heils nicht gerecht, was seine Pionierarbeit für den ungarndeutschen Volkstanz betrifft. Daher hat unser DGV-Vorstandmitglied Mario Hecker zu Pfingsten ein Gespräch mit Helmut Heil geführt.
Lieber Helmut, gerne möchte ich Dir in diesem Interview die Gelegenheit geben, Dich vorzustellen. Vorab, wer bist Du und woher kommst Du?
Ich bin ein Ungarndeutscher! Meine Ahnen kamen aus der Fuldaer Gegend (Osthessen). Sie sind von Deutschland mit einem der drei „Schwabenzüge“ nach Ungarn gekommen. Heute leben in Ungarn etwa 250.000 bis 300.000 Ungarndeutsche. Seitdem pflegen wir unsere Sprache, Kultur und Identität. Ich lebe in der Universitätsstadt Pécs. Wir sagen den deutschen Namen: Fünfkirchen.
Wie bist Du zum Tanz gekommen? Oder ist der Tanz zu Dir gekommen?
Ja, in der Familie wurde immer deutsch gesprochen – das ist heute auch noch so. Es wurden die Kultur, die Sitten und Bräuche bewahrt. Dann bin ich ins Leöwey Gymnasium gekommen – deutscher Klassenzug - wo das Tanzen so richtig begonnen hat. 1973 habe ich meine Tanzgruppe gegründet, die „Fünfkirchen-Leöwey Tanzgruppe“ und leite sie bis heute.
Was sind die wichtigsten Ereignisse auf deinem Weg mit dem Volkstanz? Was hast Du bis heute erreicht?
Leider gab es in der „kommunistische Zeit“ keine Möglichkeit einen Verein oder eine Stiftung zu gründen. Aber dann nach der Wende konnten wir das machen. So habe ich mit meiner Tanzgruppe 1990 die „Stiftung Ungarndeutsches Volkstanzgut“ gegründet. Weil ich durch Sponsoren jetzt Geld auftrieb, konnte ich manche Ziele verwirklichen: Tanzwochen organisieren, Weiterbildungskurse anbieten, ein Trachtenbuch, Tanzhefte und CD herausgeben, Festivals organisieren mit in- und ausländische Kulturgruppen u.v.a.m. Das war sehr wichtig für uns!
So auch Kontakte knüpfen! Zwischenzeitlich konnte ich mit Hilfe meiner Tanzkontakte Kurt Petermann und Karl Horak treffen, die ja viel für die ungarndeutsche Volkstanzkultur durch ihre Forschung getan haben. No ja, man muss auch Glück haben!
Was noch sehr wichtig war: die Bildung. Wer hat sich in der „kommunistische Zeit“ darum gekümmert, dass wir gute Tanzgruppenleiter, Chorleiter oder Musiklehrer hatten? Erst nach der Wende – wir mussten vorher ja russisch lernen – haben alle ungarndeutschen Ortschaften/Dörfer sich umgestellt auf Deutsch. So habe ich schnell angefangen mit den Tanzleiterausbildungskursen.
Weil hier - in der sogenannten „Schwäbische Türkei“ – die meisten Ungarndeutschen wohnen, hat sich fast in allen Dörfern eine Tanzgruppe, ein Chor und eine Musikkapelle organisiert. So habe ich 1995 den „Branauer Deutschen Tanzverein“ gegründet. Wir haben im Verein (Verband) etwa fünfzig Tanzgruppen –mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Wenn wir jedes Jahr unser Kinderfestival organisieren, sind etwa 400 Kinder dabei!
Welche Herausforderungen siehst Du für die Zukunft? Welche Wünsche verbindest Du damit?
Die Zukunft? Hm, ich denke man muss immer optimistisch sein! Wie ich das immer sage: Wenn man in jedem Ort einige „Verrückte“ hat, dann geht es. Die heutige Jugend ist nicht schlimmer oder besser als wir damals waren, nur man brauchte andere Methoden – man muss immer „trendy“ sein.
Bei uns ist zurzeit Volkstanz auf dem Stundenplan! Genauso wie Geschichte oder Mathematik ist Volkstanz ein Schulfach. Dass man Deutsch lernt, ist sehr gut, aber genauso wichtig ist unsere Kultur – die Sitten, Bräuche. Das ist Identität, und das brauchen wir.
Ja, wir haben sehr viele Tanzgruppen im Land. Wir haben auch Landesfestivals, wo man eine Gold- oder Silber-Auszeichnung erringen kann, und das finde ich gut.
Wann ist ein Tanz gut auf einer Bühne umgesetzt?
Wir leben im 21. Jahrhundert, wir müssen auch uns ein „bisschen“ umstellen, wenn wir etwas zeigen wollen für die heutigen Zuschauer. Machen wir zehn bis 15 Minuten nur Schustertanz oder Kreuzpolka, dann wird es „langweilig“ für die heutigen Zuschauer, aber auch die Tänzerinnen und Tänzer wollen etwas anderes.
Wir müssen unterscheiden können: Ist es ein Festival, ein Dorffest, ein Tanzhaus, ein Wettbewerb und demnach stellen wir unser Repertoire zusammen! Aber Bühnenarbeit, choreographieren ist keine leichte Aufgabe, das kann nicht jeder!
Was könntest Du Dir vorstellen, wie die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen den Tänzerinnen und Tänzern aus Ungarn und Deutschland aktiviert werden könnte?
Kontakte! Die sind sehr wichtig für uns. Nach der Wende gab es auch einen Aufschwung. Fast alle Dörfer haben eine Partnerschaft zu Deutschland oder Österreich und das ist sehr wichtig. Jetzt hat es ein bisschen nachgelassen. Ich weiß, es ist nicht so einfach, wie schon gesagt, man braucht die „Verrückten“. Man sollte vielmehr auf die Jugend bauen, Austausch und Festivals organisieren. Vielleicht ist auch eine Mitgliedschaft in der DGV in Zukunft möglich.
Besten Dank für dieses Gespräch. Auch ich möchte optimistisch in eine gemeinsame deutsch-ungarndeutsche Zukunft schauen. Wir bleiben in Kontakt.
Begriffserklärung
Schwäbische Türkei: „Nach der von den Türken geprägten osmanischen Herrschaft des 16. und 17. Jahrhunderts wurde das Gebiet neben slowakischen, kroatischen und serbischen Kolonisten sowie Pfälzern, Mainfranken, Hessen, Westerwäldern, Fuldaern, Ostfranken und Baiern auch mit Schwaben besiedelt. So entstand der Name Schwäbische Türkei“ (Wikipedia). Sie liegt im Südwesten Ungarns, südlich des Balaton/Plattensees und westlich der Donau.