Bewegung und Musik, wie beim Volkstanz, sind für unsere Kinder die Schlüssel zur Sprache, zur Persönlichkeit und zur Handlungsfähigkeit. Dr. Eveline Krause hat sich in der Corona-Quarantäne Gedanken dazu gemacht.
Mensch, lerne Tanzen sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!“ So lautet eine Zeile in einem Gedicht über Tanz, das dem Heiligen Augustinus zugeschrieben wird, der in einer Zeit gelebt hat, als das Tanzen das reine Teufelswerk war. Er meinte Volkstanz, denn zu seiner Zeit gab es weder Ballett, noch Tango, noch zeitgenössischen Tanz oder Hip-Hop. Aber dann ist da die geistige Nähe zur „Heimat“, die ein Unbehagen verursacht. Dafür gibt es auch keinen Grund mehr seit Susanne Scharnowski die vielen Facetten des Heimatbegriffes in der politischen und literarischen Romantik dargestellt und ihre Bedeutung für die Gegenwart analysiert hat.
Volkstanz könnte nach einem Beschluss der EU 2007 in Lissabon, als Teil der kulturellen Vielfalt in Deutschland anerkannt sein. Nicht nur Tänze aus Deutschland, sondern auch Tänze aus vielen Ländern Europas und der Erde gehören dazu. So bunt wie unsere Gesellschaft inzwischen ist.
In der Schulerziehung ist kein Platz für Volkstanz jeglicher Herkunft. SchülerInnen also keine deutschen Tänze und zum Beispiel auch keine schottischen Tänze mehr lernen! Stattdessen sollen Kinder der künstlerischen Provokation ausgesetzt werden, um der vermeintlichen Einfalt der Volkstänze zu entgehen. Kurz gesagt, keiner hat eine Vorstellung wie Volkstanzmusik tatsächlich klingt und wie Volkstanz in seiner Breite wirklich ist, aber Entscheidungsträger wissen, dass Volkstanz doof ist.
Bewegung und Musik sind der Schlüssel
Dennoch wird der Volkstanz gebraucht für die Erziehung der Kinder. Die „Massenbewegung“ in der Choreografie des Feuervogels hat nicht annähernd den gleichen Effekt auf die Entwicklung des Gehirnes wie das Lernen von Volkstänzen, die eine gebundene Form (einen festen, sich wiederholenden Ablauf) haben.
Bewegung und Musik sind die Schlüssel zur Sprache und zur Persönlichkeit, zur Handlungsfähigkeit. Die einfache Bewegung alleine reicht nicht, es müssen die Qualitäten Wahrnehmen, Empfinden/Freude und Erleben in kindgemäßer Form dazu kommen. Kindgemäß ist die Bewegung mit dem Lied „Häschen in der Grube“. (Das Tanzlied „Häschen in der Grube“ ist nur ein Beispiel für das Lernen mit allen Sinnen für die Kleinsten. Aber wir können mehr als das eine Lied!) Es ist ein guter Anlass für die Kleinsten, selber zu singen, sich einen wiederkehrenden Ablauf zu merken, mimisch zu spielen und im Kreise der Kinder kreative Variationen zu erfinden, bis es nicht mehr das ursprüngliche Lied ist. Dazu kommt, dass das Kind lernt, seine Bewegungen mit dem Text zu synchronisieren. Um das zu können, muss es sich konzentrieren, visuell und akustisch aufmerksam sein und seine Impulsivität steuern, um im richtigen Moment zu springen. Welche Freude, wenn alles gut gegangen ist und noch mehr Lachen, wenn alle gemeinsam Mist gebaut haben! Welche Zufriedenheit, wenn sie es zusammen schaffen, das Chaos wieder zu ordnen.
An Hand des vermeintlich altmodischen Liedes wurde fast das ganze Spektrum der Psychomotorik dargestellt. Rhythmus und Reim fördern die Vertrautheit mit der Sprachmelodie und regen die TänzerInnen zum Singen an. Die Freude beim Tanzen und Singen trainiert die Gedächtnisleistung. Dank der pädagogischen und methodischen Fähigkeiten der VolkstanzleiterInnen können für jedes Alter bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die passenden Tänze ausgesucht werden.
Volkstanz ist eine preiswerte Form der Demenzprophylaxe
Die Kontratänze (Vierpaartänze) und die Gassentänze haben einen besonderen Effekt auf das Gehirn. Ohne Erklärung der geforderten Hirnstrukturen: Der Einsatz der Paare in der Choreografie erfordert eine geistige Einstellung jedes einzelnen auf den Moment des Einsatzes, das Losgehen im Tempo und Rhythmus der Musik (Synchronisation), ein Anspannen der Muskeln im Körper (Kinästhetik), die geistige Vorstellung eines Raummusters, in dem die Bewegung stattfinden soll und die Beobachtung der anderen Paare wiederholt die genannten Prozesse. Die Hirnforschung hat gezeigt, dass das Tanzen von gebundenen Strukturen (Tänze mit festgelegten Abläufen und Wiederholungen), nicht das Rumzappeln, die Verbindungen der Synapsen im Gehirn aktiviert, aufrechterhält, sie vermehrt und dadurch das kindliche Gehirn entwickelt und später eine Demenz verhindert. Die Voraussetzung ist, dass lebenslang getanzt wird. Um ein Leben lang zu tanzen, gibt es genug Tänze, die das Volk so tanzen kann. Für jede Begabung, jedes Alter und jede Körperform ist etwas dabei. Jedenfalls mit dem Tanzen aufzuhören, bloß weil sich die Körperlichkeit verändert hat oder man keinen Partner mehr hat, ist kein Grund.
Volkstanz gehört zum Kanon der Tanzarten und verdient einen bedeutenden Platz in der Ausbildung der Pädagogen und Pädagoginnen. Ach so, er nimmt Schwierigkeiten aus dem Schulalltag und er ist eine preiswerte Form der Demenzprophylaxe! Bis die Demenz im Alter keine Rolle mehr spielt, so lange sollten die pflegenden Berufe, besonders AltenpflegerInnen, auch mit Musik, Gesang und Tanz ausgebildet werden.
Literaturempfehlungen zum Thema Tanz
- Zur Bearbeitung von solidem Halbwissen (eigene Erfahrung): Susanne Scharnowski: Heimat, Geschichte eines Missverständnisses. wbg academic, 2019. Wer mir als Tanzleiterin nicht glaubt, kann selber lesen!
- Überblick auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse: Julia F. Christensen; Dong- Seon Chang: Tanzen ist die beste Medizin. Rowohlt Polaris, 2018
- Und damit klar wird, dass die Musik zum Tanzen unabdingbar dazugehört: Stefan Kölsch: Good Vibrations. Ullstein Buchverlage, 2019.