Deutsche Gesellschaft für Volkstanz e.V.

Die DGV-Tanzleiterinnen und -Tanzleiter, die vor einiger Zeit ihre Ausbildung in Berlin abgeschlossen haben, fertigten auch eine schriftliche Arbeit an. Nachdem wir die Arbeiten von Claudia Schier „So tanz(t)en wir! Ein kleines Stück Berliner Volkstanzgeschichte von 1945 bis heute (2011)“ und Jörg Dombrowski „Die Bitterfelder Konferenzen und ihr Einfluss auf die Entwicklung des Volkstanzes in der DDR“ vorgestellt haben, folgt hier die Arbeit von Oliver Schier unter dem Titel „Der deutsche Volkstanz und die Identifikation der politischen Öffentlichkeit heute: vergessen, verdrängt oder gefördert?“

 

Delegierte Zuständigkeiten

Gemäß der gegenwärtigen Positionierung des Deutschen Bundestages beschränkt sich der Schutz von immateriellen Kulturgütern auf Einzelfälle. Die Zuständigkeit verweist die Bundesregierung auf die Länderebenen.

Es darf also davon ausgegangen werden, dass die Intensität der länderspezifischen Förderung, die der Pflege des Volkstanzes zukommt sich durch die regionalen Unterschiede stark differenziert. Einer angemessenen Stimulierung der Behörden kommt aus diesem Aspekt eine besondere Bedeutung zu.
Eine Aufgabe, die nur mit gebündelten Kräften zu spürbaren Ergebnissen kommen wird. Diese Herausforderung erfordert enge und strukturierte Zusammenarbeit in den Tanzarbeitsgemeinschaften der Länder und in gruppenübergreifenden Arbeitsgruppen.

Besondere Bedeutung nimmt dabei die Initiativstärke der Gruppen und Verbände ein, die künftig auf eine strukturierte und vernetzte Arbeit angewiesen sein werden, um nennenswerte Akzente setzen zu können. Die Gewichtung des Volkstanzes neben den zahlreichen Formen, Tanzarten, Genres und Kulturen, welche sich in den multikulturellen Ballungsgebieten raumgreifend etabliert haben, sollte stärker im Mittelpunkt der Öffentlichkeitsarbeit stehen.

Der Leitgedanke der Bundesregierung, die Förderung von Einrichtungen in die Verantwortung der Länderebene zu delegieren verlagert ebenfalls die Einschätzung der Bedeutung in diese Ebene. Es wird damit zur Aufgabe einzelner Verantwortungsbereiche, die nationale und gesamtstaatliche Bedeutung des deutschen Volkstanzes zu erkennen. Von dieser Einschätzung ist das Engagement der politischen regionalen Öffentlichkeit im prägenden Maße abhängig. Die Folge ist eine fragmentierte und unabgestimmte Förderung im unterschiedlichen Maß. Dieses ist nach meiner Ansicht für die angestrebte Wahrnehmung unseres bedeutenden Kulturgutes nicht geeignet.

Dachverbände als Interessenvertreter

Die Aktivitäten nichtgewerblicher Personen, Gruppen, und Organisationen, die den Tanz in seinen vielfältigen Erscheinungsformen pflegen, fördern und vermitteln wollen, finden auf Länderebene ihren Zusammenschluss in den Landesarbeitsgemein-schaften Tanz. Dabei erhalten die LAGen durch die Landesregierungen regional differenzierte Förderung unterschiedlichster Art, Höhe und Inhalt. Die Fördervoraussetzungen orientieren an landesspezi-fischen Voraussetzungen, Möglichkeiten und politischer Motivation.

Die Landesarbeitsgemeinschaften bilden als regionale Dachorganisation eine Basis zum Erhalt der kulturellen tänzerischen Vielfalt, einer generationsübergreifenden Verbreitung von Tanzformen und Kulturen. Die Arbeit dieser Laien- und Breitentanzbewegungen nehmen eine Schlüsselrolle zur Wahrung des immateriellen Kulturerbes ein. Das entspricht einer praktischen Umsetzung der gleichlautenden Zielsetzung, wie sie in der UNESCO auf internationaler Ebene festgeschrieben wurde.

Die Erhaltung des immateriellen Kulturerbes Tanz bildet somit eine Kernaufgabe der Landesarbeitsgemeinschaften.

Der Deutsche Bundesverband Tanz

„Der Deutsche Bundesverband Tanz e.V. (DBT) ist die bundesweite Dachorganisation des Amateur -und Breitentanzes in Deutschland. 1953 durch die ‚Initiativkräfte der deutschen Volks- und Jugendtanzbewegung‘ gegründet, haben sich ihm zwischenzeitlich 13 Landesarbeitsgemeinschaften, 36 Fachverbände, Universitäten, Hochschulen, Organisationen/ Institutionen und eine Vielzahl von Einzelmitgliedern die wiederum Gruppierungen vertreten angeschlossen.

Aufgabe und Ziel des Interessenverbandes ist es, die kulturelle und soziale Bedeutung des Breitentanzes auf kultur-, bildungs- und sozialpolitischer Ebene herauszustellen und seine Wirkungsmöglichkeit zu stärken und zu erweitern.
Der DBT erfüllt diese Ziele durch konkrete Maßnahmen wie Ausbildung von

  • Tanzpädagoginnen/Tanzpädagogen
  • Lehrgänge, Tagungen und Wettbewerbe
  • Foren für die Mitglieder
  • Mitarbeit in Arbeitskreisen
  • Kontakte zu öffentlichen Bildungsträgern
  • Veröffentlichungen: Dokumentationen, Arbeitshilfen, Materialsammlungen
  • Jahresveranstaltungskalender (bundesweit).

Er leistet damit einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Bildung - vor allem von Kindern- und Jugendlichen - und koordiniert den Wissens- und Erfahrungsaustausch auf nationaler und internationaler Ebene.“ [4]

„Der DBT ist Mitglied

  • im Deutschen Kulturrat Sektion: Rat für darstellende Kunst und Tanz federführend im ‚Beirat für Tanz‘
  • in der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung e.V.
  • in der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen
  • im Conseil International de la Danse (CID).!“
    [4]
    Vereine, Verbände und Träger sind unter den gegebenen gegenwärtigen Voraussetzungen gezwungen, als Bindeglied zwischen praktizierenden Volkstänzern, unterstützungsbereiten kommunalpolitischen Ebenen und der zentralen politischen Öffentlichkeit zu fungieren. Eine Aufgabenstellung, die Anstrengungen sowie nach innen, in die Richtung der Tanzgruppen, als auch nach außen in die öffentliche Wahrnehmung mit sich bringt.

    Strukturen: An richtiger Stelle?

  • Auf bundespolitischer Ebene wird die Erhaltung des Kulturerbes dem Kulturressort übertragen. Leider ist nicht zu erkennen, inwiefern die unterschiedlichsten Strukturen der einzelnen Landesregierungen den Bundesstrukturen folgen. Erschwert wird die Betrachtung durch eine ausgeprägte Delegation von Kernaufgaben in die Komplexität landesspezifischer Organisationen.
  • Ob die Umsetzung so ideeller Aufgabenstellungen vor dem Hintergrund einer bundesweit fast flächendeckenden Mangelverwaltung ihren angemessenen Stellenwert auch einnimmt, darf mangels ausreichender Gelder, mangels stimmungsbeeinflußender Popularität beim Wähler und mangels politischer Motivation der Verantwortlichen im überwiegenden Teil praktischer Erfahrungen angezweifelt werden.
  • Die Landesorganisationen unterliegen der Unflexibilität behördlicher Strukturen, welche damit ihre Funktionalität nicht in vollem Umfang sicherstellen können. Aufgabenbereiche mit geringem Stellenwert haben nur geringe Chancen, in den starren Strukturen Arbeit mit zufriedenstellenden Ergebnissen verrichten zu können.
  • Mehrfache Reformierungen der Landesstrukturen, die Einflüsse der Haushaltssituation der öffentlichen Hand führten zu dem Ergebnis, dass die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben weitestgehend in Vereinsebenen delegiert wird. Darüber hinaus mangelt es daran, dass die Mitarbeiter in den Amtsstuben selbst keine Vorstellungen vom Volkstanz haben und somit ohne Anregung von außen keinen Handlungsbedarf ableiten können. Alle Faktoren wirken einem angemessenen Stellenwert des Volkstanzes entgegen.
  • Somit ist es nicht Gegenstand der Betrachtung, die Funktionstüchtigkeit der Strukturen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Exemplarisch dafür ist die Zuordnung der Berliner Landesarbeitgemeinschaft Tanz e.V. in der Struktur des Landes Berlins. Entgegen der bundespolitischen Struktur, die die Aufgabe des Kulturerbes dem Ressort Medien und Kultur zuordnet, findet sich die LAG Tanz Berlin in der Zuordnung zum Senator für Bildung und Jugend wieder, welcher seine Pflichten in einer ebenso fraglichen Zuordnung an einen Dachverband delegiert hat.
    Wir dürfen wohlwollend mutmaßen, dass diese Zuordnung der Historie nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und dem übertragenen Bildungsauftrag geschuldet ist. Zum damaligen Zeitpunkt lag der Schwerpunkt der Berliner Tanzgruppen in den Zentren der Jugendarbeit und ein überdurchschnittlicher Teil der praktizierenden Tänzer gehörte somit der Zielgruppe des Landesressorts Jugendarbeit an. Mangels der Verfügbarkeit erklärender Publikationen oder Erklärungen bleibt dieser Versuch einer Begründung jedoch spekulativ.
  • Am Beispiel der Zuordnungen im politischen Gebilde des Bundeslandes Berlin ist zu bezweifeln, dass die Länderebene einer klar vorgegebenen gesamt-deutschen Struktur (sofern wir von deren Existenz ausgehen können) folgt. Die Gruppen und Verbände, die sich der Erhaltung unseres Kulturguts widmen, sind nicht erkennbar zu den Resorts von Medien und Kultur zugeordnet, denen dieses Anliegen ebenfalls innewohnen sollte.
    Der Berliner Senator für Bildung und Jugend hat nunmehr die Wahrnehmung seiner Aufgaben an die ehrenamtlich geführte Trägerschaft der Landesvereinigung kulturelle Jugendarbeit Berlin e. V. abgegeben.
  • Diese vertritt als Dachverband die Interessen der Landesarbeitsgemeinschaften und Mitgliedsverbände auf Länderebene. In Zusammenarbeit mit freien und öffentlichen Trägern sichert und entwickelt die LKJ Berlin e. V. nach eigenen Angaben fachliche Standards und setzt sich für den Ausbau kultureller Angebote für Kinder und Jugendliche aktiv ein.
  • Die von der LKJ Berlin e. V. wahrgenommene Aufgabe der Vergabe und Verwaltung von Fördergeldern beschränkt den Rahmen der Fördermöglichkeiten der kulturellen Breitenarbeit der Verbände durch festgelegte Bedingungen.
  • So gehört es zu den unabdingbaren Förderungsvoraussetzungen, dass folgende Kriterien erfüllt werden:
  • grundlegend werden nur beschriebene und zeitlich begrenzte und in der Zukunft liegende Projekte auf Antrag im Bewerbungsverfahren gefördert
    das dem Antrag zu Grunde liegende Projekt muss nachweislich dem Ziel der Jugendbildung dienen das Projekt muss von Künstlern geleitet werden.
    Diese Rahmenbedingungen schließen die Förderung von Bevölkerungsgruppen außerhalb des Kinder- und Jugendalters aus und somit auch die aktive Arbeit der Volkstanzgruppen in anderen Alterklassen.
  • Dass kulturelle Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und das Engagement von Trägern, Verbänden und Dachverbänden hoch zu schätzen und anzuerkennen ist, bleibt unbestritten. Es nimmt zu Recht einen wesentlichen Stellenwert in der Kultur- und Bildungsarbeit ein. Der Rahmen der LKJ kann und sollte jedoch aber nicht eine Alleinstellung beim Erhalt immateriellen Kulturerbes für sich beanspruchen.
  • Sofern der deutsche Bundestag davon ausgeht, mit der Struktur der bundesdeutschen Länderebenen der UNESCO Konvention zum Erhalt des immateriellen Kulturerbes gerecht werden zu können, bleibt zu hinterfragen, ob die reelle Verfügbarkeit von soziokulturellem Raum für den Erhalt des Erbgutes Volkstanz als hinreichend anzusehen ist. Die Erfahrungen der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz Berlin e. V. bestätigt dabei jegliche Skepsis an ausreichendem Engagement in diesem Punkt.
    Die reale Praxis belegt das Schwinden von soziokulturellem Raum, was zu Ergebnis hat, dass sich die meisten Volkstanzaktivitäten in kommerzielle Kulturstätten einmieten müssen und vom öffentlichen Raum ferngehalten werden. Die Finanzierung bleibt der Selbstorganisation überlassen. Ein Status, in dem die praktisch ge- und erlebte Kultur schrittweise zu Erliegen kommen wird.
  • Die demographische Entwicklung hat dazu geführt, dass der Anteil der Jugend drastisch zurückgegangen ist und somit ein sich reduzierender Anteil von Kindern und Jugendlichen unter dem Einfluss medialer Reizüberflutung nicht mehr als Schwerpunktzielgruppe zu betrachten ist. Die Zuordnung zu hinterfragen und gegebenenfalls notwendige Korrekturen bei offiziellen Stellen anzuregen stellt eine notwendige Aufgabenstellung für uns dar.
  • Rechte Probleme

  • Sowohl die Sichtweise des Umfelds auf uns Volkstänzer als auch die Bemühungen der Volkstanzgruppen um Unterstützung aus der öffentlichen Hand leiden aktuell zunehmend darunter, dass sich politische Randgruppen die Praktizierung deutschen Volkstanzes betont unterstreichen und dieses von Medien und Öffentlichkeit reflektiert wird. Eine vorschnelle Gleichsetzung von Volkstanzgruppen mit „braunen Nestern“ ist die Folge.
    Die Präsenz von Randgruppen, die u. a. mit der Einbindung von Volkstanzgut eine verfassungswidrige politische Gesinnung unterstreichen wollen, ist eine schwere Belastung für das Ansehen jeglicher unpolitischer Praxis von tanzbegeisterten Volkstänzern. Die Folge ist ein zurückhaltender Umgang von politischen Verantwortungsträgern mit unseren Gruppen, da diesen eine Differenzierung der Gruppierungen mit angemessenem Aufwand nahezu nicht möglich ist. Eine Problematik, die so schwerwiegende Auswirkungen nach sich zieht, dass hier gesonderte Betrachtungen angebracht sind. Es ist dringend angezeigt, hier aufklärende Gespräche mit der Politik zu suchen und einen angemessenen Umgang mit der Situation zu konzeptionieren. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass sich die Institutionen präventiv zur Vermeidung von unerwünschter rechter Förderung generell vom Volkstanz wertfrei distanzieren.
  • Eine distanzierte Positionierung von offizieller Seite ist bei den geschilderten und vergleichbaren Ereignissen zweifellos angebracht. Jedoch muss sich jegliche Distanzierung auf die politischen Gesinnungen der betreffenden Personen und Gruppen beschränken, um eine Beschädigung unseres Kulturguts Volkstanz zu vermeiden!
  • Sollten Veröffentlichungen dieser Art auch künftig eine signifikante Verbindung von Volkstanz und rechter Gesinnung darstellen, treten unweigerlich irreparable Schäden für den Volkstanz ein. Andere Kulturbereiche wie Volkslied und klassische Musik könnten ebenso in den Sog dieser Randgruppen kommen.
  • Die klare Positionierung der Volkstanzgruppen in Verbindung mit einer politischen Distanzierung stellt eine dringende Notwendigkeit dar. In der Praxis ergibt sich jedoch das Problem, dass der Volkstanz grundsätzlich offen für alle Interessenten ist, ohne dass diese vor dem Tanzen eine Positionierung abgeben müssen. Ein Grundsatz, der erhalten werden muss, um eine breite Öffentlichkeit zu gewährleisten. Somit schließt es sich aus, dass der Zugang zum Volkstanz in irgendeiner Art und Weise beschränkt wird. Eine Auseinandersetzung, wie mit einzelnen Personen und Gruppierungen, denen eine verfassungswidrige politische Gesinnung zuzuordnen ist, umgegangen wird, sollte auf gruppeninterner Basis erfolgen. Die Verbände sind jedoch gut beraten, den Mitgliedsgruppen eine klare Positionierung abzuverlangen und einen Einklang mit vertretbaren Idealen sicherzustellen. Hierzu kann es erforderlich werden, Maßstäbe dafür in den Satzungen der Verbände zu verankern. Sofern einzelne Gruppierungen verfassungswidrig auffällig werden, können Verbände auf dieser Basis mit Distanzierung oder Ausschluss reagieren und nach außen Signale setzen.

 

wird fortgesetzt …

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Immaterielles Kulturerbe – Wissen. Können. Weitergeben.Die „Volkstanzbewegung in ihren regionalen Ausprägungen in Deutschland“ ist eingetragen im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland.