Die neu ausgebildeten DGV-Tanzleiterinnen und Tanzleiter fertigten auch eine schriftliche Arbeit an. In dieser Ausgabe wollen wir die Arbeit von Claudia Schier aus Berlin unter dem Titel „So tanz(t)en wir! Ein kleines Stück Berliner Volkstanzgeschichte von 1945 bis heute (2011)“ fortsetzen. Den Teil I finden Sie im Heft 2/2012, Seite 17 ff, Teil II im Heft 1/2013, Seite 19 ff.
Nun wieder ein Sprung zurück ins Jahr 1950 in den westlichen Teil Berlins
Volkhard Jähnert war damals achtzehnjähriger Schüler an der Georg-Herwegh-Oberschule in Berlin-Hermsdorf. Am schwarzen Brett der Schule lud er seine Mitschüler zum ersten Volkstanznachmittag am 26.10.1950 in die Aula ein.
Zur 60-Jahrfeier seines Volkstanzkreises Reinickendorf am 10.10.2010 erinnerte er sich in seiner Jubiläumsrede noch einmal genau daran, wie verwundert er damals war, als ihm an besagtem Oktobertag 1950 sehr viele Mitschüler im Schulflur begegneten, die alle in Richtung Aula marschierten. Sie folgten alle seiner Einladung zum Tanzen. Damit hatte er gar nicht gerechnet. Wenn ein paar Wenige gekommen wären, wäre er schon zufrieden gewesen, aber dass so viele Schüler mit ihm tanzen wollten, überraschte ihn schon sehr freudig. Das war die Gründung des Volkstanzkreises Reinickendorf.
Diese Schultanzgruppe bildete lange Zeit die Kernzelle des Tanzkreises. Aufgrund des großen Zulaufes entstand am 31.1.1951 eine zweite Gruppe, die im Kantinensaal des Bezirksamtes in der Flottenstraße probte. Diese wuchs schnell. So zählte man bereits 1952 zu den Übungsabenden 100 bis 120 Kinder und über 80 Jugendliche. Im gleichen Jahr feierte der Volkstanzkreis Reinickendorf in der Flottenstraße sein erstes Volkstanzfest.
1951/52 entstand die erste gruppeneigene Tanztracht. Die Mädchen trugen weiße Röcke und Blusen, dazu blaue Mieder. Die Jungen trugen schwarze kurze Hosen, weiße Hemden und blaue Westen.
1954 ließ die Jugendförderung Berlin-Reinickendorf eine neue Tracht für die Gruppe anfertigen. Die Mädchen trugen nun braun-gelbe Kleider und die Jungen braune kurze Hosen und gelbe Hemden.
Ende der 50er Jahre entschied man sich dann für eine stilechtere Tracht. Berlin hatte keine eigene Tracht, deshalb musste man im näheren Umland nach einer geeigneten Tracht Ausschau halten. Nach etlichen Recherchen und wälzen von Fachliteratur stieß man auf eine Tracht aus der südlichen Mark Brandenburg, die allen gefiel. Die Mädchen trugen nun Miederröcke mit bestickter Borte, weiße Blusen und schwarze Kappen, die man vorne band. Die Jungen bekamen weiße Cordhosen, weiße Hemden und blaue Westen. Später wurden noch dunkelblaue Tuchjacken und Schnallenschuhe ergänzt. Das Bezirksamt gab diesmal nichts dazu, die Gruppe musste ihre Kleidung selber nähen und bezahlen.
Später wurden die Kappen noch einmal geändert und die bunten Röcke wurden schwarz, mit bestickter Borte. Dies war wohl die endgültige Kleidung, die heute noch getragen wird.
Als 1954 das Bezirksamt in den Neubau des Rathauses nach Wittenau umzog, richtete man in den alten Räumlichkeiten ein Flüchtlingslager ein. Das hatte zur Folge, dass sich der Volkstanzkreis eine neue Unterkunft für seine Übungsabende suchen musste.
Zweieinhalb Jahre wechselte man halbjährlich die Übungsorte. Leider schieden dadurch viele Kinder und Jugendliche aus der Gruppe aus. Im Herbst 1957 fand man dann endlich wieder einen festen Ort zum Tanzen, und zwar in der Turnhalle in der Lindauer Allee in Reinickendorf. Nachdem die Gymnastikhalle in der Aroser Allee fertig gestellt war, erhielt der Volkstanzkreis damit endlich ein festes Domizil.
Die Gruppe nahm an Tanzfesten in ganz Berlin teil und unternahm Gruppenfahrten in die Mark Brandenburg. Leider endeten diese grenzenlosen Gruppenhöhepunkte Pfingsten 1952. West-Berlin wurde durch die ideologische und politische Teilung Deutschlands und Berlins zur Insel. Fahrten und Tanzfeste fanden von nun an nur noch in Berlin statt. Musikalisch wurde die Gruppe im Laufe der Jahre von mehreren Musikern begleitet, so zum Beispiel von Martin Ströfer, der heute in ganz Deutschland sehr aktiv ist. Er begleitet in vielen Tanzgruppen rund um Hamburg die Tanzabende und ist mit seinen Musikanten das Highlight auf jedem Tanzfest. Des Weiteren spielten in Reinickendorf Lothar Staege, Lothar Heininger, Rosemarie und Wolfgang Rath (sie schrieben die Musik für die Jubiläumspolka zum 40-jährigen Bestehen des Volkstanzkreis Reinickendorf), Willy Rehfeld, Richard und Gertrud Ulrich spielten auf den Tanzfesten. Michael Geuer spielte Akkordeon und leitete mehrere Jahre die Kindergruppen.
Ab Mitte der 70er Jahre konnte man sich dann keinen Livemusiker für die Proben mehr leisten. Es wurde auf „Konservenmusik“ umgestellt.
Nachdem ein Teil der Gruppe im Juni 1955 am Treffen der rheinischen Tanzkreise auf Schloss Burg teilnahm und begeistert von diesem Gruppenerlebnis wiederkam, hatte man die Idee solch ein Treffen auch in Berlin durchzuführen. Unter großen Anstrengungen schaffte es Volkhard mit seiner Gruppe Finanzen, Veranstaltungsräume und Unterkünfte für die Gastgruppen zu organisieren und so war es dann Ostern 1956 endlich soweit: Das erste Treffen der Volkstanzgruppen in Berlin konnte stattfinden. Es kamen 37 mit insgesamt 600 Teilnehmern. Das große Volkstanzfest, der Höhepunkt des Festes fand in der Schöneberger Sporthalle statt.
Liebe Leserinnen und Leser,
ergänzend zu den beiden vorhergehenden Teilen der Volkstanzgeschichte ist zu erwähnen, dass zum Teil Inhalte aus dem Buch „Der Tanz im künstlerischen Volksschaffen der DDR“ von Elvira Heising und Sigrid Römer verwendet wurden. Auch im III. Teil sind vergleichsweise Inhalte von Elvira Heising und Sigrid Römer genutzt worden.